AfD vertagt Wahl von Spitzenkandidaten - Höcke schießt gegen Meuthen

10.04.2021 19:19

Die AfD feiert sich dafür, mitten in der dritten Corona-Welle mehr
als 570 Parteimitglieder an einem Ort versammelt zu haben. Eine
Testpflicht für Kinder, die in die Schule wollen, lehnt die Partei
ab.

Dresden (dpa) - Noch ohne Spitzenkandidaten und mit dem Image einer
Anti-Verbotspartei hat die AfD ihren Bundestagswahlkampf eingeläutet.
Auch bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sprachen
sich die Teilnehmer eines Bundesparteitages am Samstag in Dresden
gegen jegliche Form von Zwang aus.

Zu Beginn des zweitägigen Parteitages mit mehr als 570 anwesenden
Delegierten in der Dresdner Messe feierte der Vorsitzende Jörg
Meuthen seine Partei dafür, dass sie - anders als andere Parteien -
auf einer Präsenzveranstaltung bestanden hatte. Die AfD wolle
«zeigen, dass diese Verbotsorgien, dieses Einsperren, diesen
Lockdown-Wahnsinn, dass es all das nicht braucht, wenn man den
Menschen vertraut», sagte Meuthen mit Blick auf Corona.

Vor der Debatte über das Programm für die Bundestagswahl am 26.
September verabschiedeten die Delegierten eine «Corona-Resolution».
Darin fordert die Partei «jedweden, auch indirekten, Zwang zur
Durchführung von Tests, Impfungen, unter anderem durch Einführung
sogenannter Schnelltest-Apps und des grünen Impfpasses, sowie
Benachteiligungen für Maskenbefreite zu unterlassen».

Der Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke sprach im
Zusammenhang mit Corona von einer «herbeigetesteten Pandemie» und
einem «Test-Wahnsinn». Er sagte: «Die Testung und die Anzahl der
Testung führt überhaupt dazu, dass wir eine Pandemie haben.»

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) rief dazu auf,
der AfD zu widersprechen. «Wer die Gefährlichkeit von Corona so
leugnet, nimmt viele Todesfälle in Kauf. Die Sprache verrät den
Charakter und leider haben wir Deutsche zu oft erleben müssen, wie
aus Worten Taten werden», erklärte Kretschmer.

Eine Mehrheit der Delegierten votierte dafür, mit einem Spitzenduo in
den Wahlkampf zu ziehen. Die Wahl dieses Zweierteams solle aber noch
nicht auf dem Parteitag erfolgen. Stattdessen dürfen darüber zu einem
späteren Zeitpunkt die Mitglieder der Partei entscheiden.

Der sächsische Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban warb
erfolglos für eine Wahl schon auf dem Parteitag. Er sagte, es sei
«ein Gebot der Vernunft», dass die AfD die kurze Zeit bis zur
Bundestagswahl am 26. September nutze, «um unsere Spitzenkandidaten
bekannt zu machen». Als möglicher Spitzenkandidat ist unter anderem
der sächsische Bundestagsabgeordnete und Co-Parteivorsitzende Tino
Chrupalla im Gespräch. Auch die digitalpolitische Sprecherin der
Bundestagsfraktion, Joana Cotar aus Hessen, kann sich womöglich
Hoffnungen machen. Bei der Bundestagswahl 2017 bildeten Alexander
Gauland und Alice Weidel das Spitzenteam.

Die AfD geht mit dem Slogan «Deutschland. Aber normal» in den
Wahlkampf. Dem Nachrichtensender Phoenix sagte Cotar, damit sei auch
das Gefühl gemeint, «dass konservativ, was früher vollkommen normal
war, plötzlich irgendwie rechtsradikal sein soll».

Die «Normalität» sei in den vergangenen 16 Jahren von Bundeskanzlerin

Angela Merkel (CDU) und den regierenden Parteien zerstört worden,
sagte Meuthen, «begleitet von sozialistischen Oppositionsparteien wie
den sogenannten Grünen und den Linken, denen diese Zerstörung sogar
noch nicht weit und nicht schnell genug geht».

Meuthen zitierte auch den CDU-Slogan des Bundestagswahlkampfes 1976:
«Freiheit statt Sozialismus». Heute stehe die AfD für Freiheit, die
Grünen stünden für Sozialismus, sagte Meuthen.

Chrupalla rief die Delegierten auf, «die innerparteilichen
Kleinkriege der letzten Monate» hinter sich zu lassen und geeint in
den Wahlkampf zu gehen. Anders als auf dem Parteitag in Kalkar im
vergangenen November ging Meuthen diesmal nicht auf die internen
Rivalitäten und Richtungskämpfe in der Partei ein. «Wir müssen bere
it
sein, Verantwortung zu übernehmen. Die anderen versagen allesamt, es
kommt auf uns zu, unweigerlich», sagte er.

Meuthen wies der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni eine
Schlüsselstellung bei den Wahlen dieses Jahres zu. «Wir haben, wenn
wir es diesmal richtig angehen, bei dieser Wahl die große Chance,
erstmals und sogar mit einigem Abstand zur stärksten politischen
Kraft in einem Bundesland zu werden.» Damit ginge erstmals in der
Geschichte der AfD der Auftrag zu einer Regierungsbildung einher.
Deshalb brauche man «maximalen Einsatz» für diesen Landtagswahlkampf.


Ein Antrag, Meuthen als Parteivorsitzenden vorzeitig abzuwählen,
schaffte es am Samstag zwar nicht auf die Tagesordnung. Am Sonntag
könnte jedoch über den Vorschlag abgestimmt werden, die Wiederwahl
von Bundesvorstandsmitgliedern in Zukunft nur noch zweimal zu
ermöglichen. Damit dürfte Meuthen bei der für Ende November geplanten

Neuwahl der Parteispitze nicht mehr antreten.

Auf Meuthen angesprochen, sagte Höcke vor Journalisten: «Ich habe ja

eben sehr deutlich gemacht, dass Herr Meuthen in meinen Augen nicht
das politisch-historisch-philosophische Tiefenbewusstsein besitzt, um
diese Partei in ihrer Lage zu führen.» Er besitze «nicht die
Integrationsfähigkeit, um diese Partei zu führen - das hat er leider
gezeigt.»

Meuthen sei trotzdem ein Gesicht der Partei und eine wichtige Stimme
der AfD auch in Zukunft, sagte Höcke. Er könne auch weiter ein Teil
des Orchesters sein, «aber nicht die erste Geige spielen». Höcke ist

der bekannteste Vertreter einer Strömung in der AfD, die vom
Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet
wird.

Einig waren sich die Delegierten in ihrer Ablehnung der Europäischen
Union. Keine Mehrheit fand sich in Dresden jedoch für einen Antrag
mit dem Titel «Ja zum Dexit». Stattdessen erhielt ein Antrag
Zustimmung, wonach ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen
Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und
Interessengemeinschaft für notwendig gehalten wird.

Am Rande des Parteitages gab es Proteste. Rund 150 Menschen
blockierten eine Zufahrtsstraße zur Messehalle oder demonstrierten
direkt vor der Messe. Nach Angaben der Polizei blieb alles friedlich.