Besteuerung von Unternehmen und Personen

Keine ausdrücklichen Bestimmungen im EG-Vertrag

Der EG-Vertrag enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Harmonisierung der direkten Steuern. Maßnahmen in diesem Bereich müssen deshalb ihre Grundlage in allgemeineren Zielen finden.

1. Die Rechtsvorschriften für die Besteuerung der Gesellschaften stützen sich gewöhnlich auf Artikel 94 (100) des Vertrags, der "Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten" zulässt, "die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken". Wie im Fall von Artikel 93 (99) - und im Gegensatz zu Artikel 95 (100a), auf dessen Grundlage die meisten Rechtsvorschriften für den Gemeinsamen Markt erlassen wurden - sind Einstimmigkeit und Konsultation erforderlich.

2. Artikel 58 (73d), der im Vertrag von Maastricht eingeführt wurde, betrifft den freien Kapitalverkehr und erlaubt es den Mitgliedstaaten, "Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich zu behandeln". Am 14. Februar 1995 entschied jedoch der Gerichtshof (Rechtssache C-279/93), dass Artikel 39 (48) des Vertrags im Bereich der Steuern und der sozialen Sicherheit unmittelbar anwendbar ist. Der Artikel bestimmt, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer "die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen" umfasst. Gemäß Artikel 293 (220) sind die Mitgliedstaaten zum Zwecke der Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft verpflichtet, "untereinander Verhandlungen einzuleiten", und Artikel 294 (221) untersagt die Diskriminierung von Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten "hinsichtlich ihrer Beteiligung am Kapital von Gesellschaften".

3. Die meisten Vereinbarungen im Bereich der direkten Steuern liegen jedoch weiterhin außerhalb des Rahmens des Gemeinschaftsrechts. Ein umfassendes Netz bilateraler Steuerabkommen - die sowohl für Mitgliedstaaten als auch für Drittländer gelten - deckt die Besteuerung grenzüberschreitender Einkommensströme ab.

Zwei spezifische Ziele im Bereich der direkten Steuern sind die Verhütung von Steuerhinterziehung (beispielsweise die vorgeschlagene Quellensteuer auf Zinsen) und die Beseitigung der Doppelbesteuerung (beispielsweise Vereinbarung über Dividendenzahlungen an Nichtansässige).

Generell kann eine gewisse Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung (Körperschaftssteuer und persönliche Besteuerung von Dividenden) zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen, insbesondere bei Investitionsentscheidungen, erforderlich sein. Bei nicht neutralen Steuersystemen - beispielsweise wenn die relative Rendite nach Steuern nicht derjenigen vor Steuern entspricht - kommt es zu Kapitalfehlleitungen. Eine Harmonisierung könnte auch zur Verhinderung der Schwächung von Einnahmen durch "Steuerwettbewerb" und zur Reduktion des Spielraums für manipulierende Buchführung (beispielsweise durch die Festlegung von Verrechnungspreisen) gerechtfertigt sein.

Der Ruding-Bericht ("Bericht des unabhängigen Sachverständigenausschusses über die Leitlinien für die Unternehmensbesteuerung", März 1992) kam zu dem Ergebnis, dass in den Steuersystemen aller Mitgliedstaaten in irgendeiner Form Diskriminierung zwischen Inlands- und Auslandsinvestitionen stattfindet. Ferner wurde festgestellt, dass die möglicherweise verzerrenden Auswirkungen durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Kapitalverkehr noch erhöht werden. Hauptfrage sei, ob derartige Verzerrungen den Binnenmarkt ernsthaft bedrohen und ob sie, falls vorhanden, "durch das Wechselspiel der Marktkräfte und den Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt werden" können, oder ob hierfür ein Vorgehen auf Gemeinschaftsebene notwendig ist.

Unternehmensbesteuerung
Seit über 30 Jahren werden in der Europäischen Gemeinschaft Vorschläge zur Harmonisierung der Körperschaftssteuer diskutiert. Sowohl im Bericht Neumark von 1962 als auch im Bericht van den Tempel von 1970 wurde eine Harmonisierung - wenngleich mit verschiedenen Systemen - befürwortet. 1975 veröffentlichte die Kommission den Entwurf eines Richtlinienvorschlags zur Einführung eines weiteren Systems zur Angleichung der Steuersätze zwischen 45 und 55% in allen Mitgliedstaaten. Dies erwies sich als unannehmbar; 1980 erklärte die Kommission, dass aus Wettbewerbsgründen ein gemeinsames System zwar erwünscht wäre, "doch wäre der Versuch wahrscheinlich aussichtslos, dieses Problem auf dem Harmonisierungswege zu lösen" (Bericht über die Aussichten für eine Angleichung der Steuersysteme in der Gemeinschaft, KOM(80)139).

Statt dessen beschloss die Kommission, sich auf begrenztere Maßnahmen zu konzentrieren, die für die Vollendung des Binnenmarkts wichtig sind. In den "Leitlinien zur Unternehmensbesteuerung" von 1990 (SEK(90)601) wurden drei bereits veröffentlichte Vorschläge vorrangig behandelt, die im weiteren Verlauf dieses Jahres angenommen wurden:

- die Richtlinie betreffend "Fusionen" (90/434/EWG), die die Behandlung von Gewinnausschüttungen bei der Fusion von Unternehmen regelt;
- die Richtlinie betreffend "Mutter- und Tochtergesellschaften" (90/435/EWG), die die Doppelbesteuerung bei der Zahlung von Zinserträgen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten beseitigt und
- das Übereinkommen betreffend "Schiedsverfahren" (90/436/EWG), mit dem Schiedsverfahren im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen in verschiedenen Mitgliedstaaten eingeführt wurden.
Anfang 1991 veröffentlichte die Kommission ferner einen Vorschlag betreffend die gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (KOM(90)571). Trotz einer Änderung dieses Vorschlags zwei Jahre später (KOM(93)196) und ungeachtet einer positiven Stellungnahme des Europäischen Parlaments wurde dieser Vorschlag jedoch später wegen fehlender Einigung im Rat zurückgezogen. Als Teil des "Monti-Pakets", das auch den Verhaltenskodex und den Vorschlag für die Besteuerung von Zinserträgen umfasste (siehe unten), wurde 1998 eine neue Fassung vorgelegt (KOM(98) 67).

Inzwischen wurde 1991 der Unabhängige Sachverständigenausschuss Ruding eingesetzt, der im März des folgenden Jahres Bericht erstattete (siehe oben). Er empfahl ein Aktionsprogramm zur Beseitigung der Doppelbesteuerung, zur Harmonisierung der Körperschaftssteuersätze innerhalb einer Bandbreite von 30-40% und zur Sicherstellung vollständiger Transparenz bei den verschiedenen Steuererleichterungen der Mitgliedstaaten zur Investitionsförderung.

Die Kommission veröffentlichte ihre Antwort im Juni 1992 (SEK(92)1118). Darin stimmte sie zwar nicht allem von Ruding zu - insbesondere nicht den Körperschaftssteuersätzen -, billigte jedoch die Notwendigkeit vorrangiger Maßnahmen im Bereich der Doppelbesteuerung. Im folgenden Jahr schlug sie Änderungen zur Erweiterung der Richtlinien betreffend "Fusionen" bzw. "Mutter- und Tochtergesellschaften" (KOM(93)293) vor und verwies auf zwei bereits vorliegende Richtlinienvorschläge: zur Übertragung von Unternehmensverlusten (KOM(84)404) und zu Verlusten von in anderen Mitgliedstaaten gelegenen Betriebsstätten und Tochtergesellschaften (KOM(90)595). Alle diese Vorschläge liegen noch immer dem Rat zur Entscheidung vor.

1996 legte die Kommission einen neuen Ansatz in bezug auf die Besteuerung fest (* 3.4.9.). Im Bereich der Unternehmenssteuer war das wichtigste Ergebnis der Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, den der Rat im Januar 1998 als Entschließung annahm. Der Rat setzte eine Verhaltenskodex-Gruppe (bekannt als "Primarolo-Gruppe", benannt nach ihrem Vorsitzenden) ein, die mitgeteilte Fälle der unfairen Unternehmensbesteuerung prüfen sollte. Ihr Bericht wurde im November 1999 vorgelegt; darin wurden 66 Steuerpraktiken ausgewiesen, die innerhalb von fünf Jahren abgeschafft werden sollen. Das Mandat der Gruppe wurde jetzt erweitert, um die Erreichung dieses Ziels zu überwachen.

Besteuerung der KMU
Im Mai 1994 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung über die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen (KOM(94)206). Darin erklärte sie, dass KMU im Vergleich zu größeren Unternehmen mit drei Hauptproblemen konfrontiert seien: Erschließung ausreichender Finanzierungsquellen; Bewältigung aufwendiger Verwaltungsformalitäten; Fortbestand des Unternehmens, wenn der Eigentümer wechselt. Zwar bestehe nicht die Absicht, die rein nationale Besteuerung kleiner und mittlerer Unternehmen in irgendeiner Weise zu harmonisieren, doch könnten sich Maßnahmen im Bereich der grenzüberschreitenden Aspekte als notwendig erweisen.

Der Anhang der Mitteilung enthielt eine "erste Initiative in Form einer Empfehlung zur Selbstfinanzierung" zur Besteuerung der kleinen und mittleren Unternehmen (94/390/EG). Darin wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, in zweierlei Hinsicht die für Einzelunternehmen und Personengesellschaften erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen,

"um die ungünstigen Auswirkungen der Progression der Einkommensteuer auf die reinvestierten Gewinne ... auszugleichen" - beispielsweise durch eine Option für die Körperschaftssteuer und
"um die steuerlichen Hemmnisse für die Änderung der Rechtsform dieser Unternehmen zu beseitigen (, ...) insbesondere ... [durch] Umwandlung ... in Kapitalgesellschaften".
3. Direkte Personenbesteuerung

Die Besteuerung der Arbeitnehmer bzw. Rentenempfänger eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat leben und /oder abhängige Verwandte haben, gab schon immer Anlass zu Problemen. Mit bilateralen Abkommen konnte zwar generell eine Doppelbesteuerung verhindert werden; Fragen wie die Anwendung unterschiedlicher Steuererleichterungen im Wohnsitzstaat auf Arbeitseinkünfte im Tätigkeitsstaat konnten jedoch in dieser Weise nicht gelöst werden. Um eine Gleichbehandlung von ansässigen und nichtansässigen Arbeitnehmern sicherzustellen, schlug die Kommission 1980 gemäß Artikel 94 (100) eine Richtlinie zur Harmonisierung von Regelungen im Bereich der Einkommensteuer im Hinblick auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft vor, der zufolge der allgemeine Grundsatz der Besteuerung im Wohnsitzstaat gegolten hätte; dieser Vorschlag wurde jedoch vom Rat nicht angenommen und 1993 zurückgezogen. Statt dessen gab die Kommission eine Empfehlung gemäß Artikel 211 (155) zu den für die Besteuerung der Einkünfte Nichtansässiger anzuwendenden Grundsätzen heraus.

Inzwischen hat die Kommission auch Verstoßverfahren gegen einige Mitgliedstaaten wegen Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer eingeleitet. Der Gerichtshof entschied 1993 (Rechtssache C-112/91), dass ein Mitgliedstaat seine eigenen Staatsangehörigen höher besteuern kann, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Der Gerichtshof hat andererseits auch befunden, dass ein Mitgliedstaat einen nichtansässigen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen steuerlich nicht benachteiligen darf (siehe oben) (Rechtssache C-279/93).

Die zweite Hauptfrage bei der direkten Personensteuer ist die Besteuerung der an Nichtansässige ausgezahlten Bank- und sonstigen Zinsen. Grundsätzlich muss der Steuerpflichtige derartige Einkünfte bei seiner normalen Steuererklärung angeben. In der Praxis bieten jedoch, wie es im Ruding-Bericht heißt, der freie Kapitalverkehr sowie das Bankgeheimnis mehr Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung durch Einzelpersonen. Einige Mitgliedstaaten erheben eine Quellensteuer auf Zinsen; als jedoch Deutschland 1989 eine solche Quellensteuer mit dem bescheidenen Satz von 10% einführte, kam es zu massiven Kapitalabflüssen nach Luxemburg; die deutsche Quellensteuer musste vorübergehend aufgehoben werden.

Im gleichen Jahr veröffentlichte die Kommission einen Richtlinienvorschlag über ein gemeinsames System einer Quellensteuer auf Zinsen (KOM(89)60) mit einem Steuersatz von 15%. Dagegen opponierten einige Mitgliedstaaten mit der Begründung, dass dies nach den Erfahrungen von 1989 in Deutschland zu erheblicher Kapitalflucht aus der Gemeinschaft führen würde.

Dieser Vorschlag wurde schließlich zurückgezogen, und die Kommission hat einen neuen Vorschlag zur Gewährleistung eines Minimums an effektiver Besteuerung von Zinserträgen innerhalb der Gemeinschaft (KOM(98)295) vorgelegt. Es wurde ein Satz von 20% vorgeschlagen; es ist jedoch auch ein alternatives System vorgesehen, um die Steuerbehörden des Mitgliedstaates, in dem der Sparer seinen Wohnsitz hat, über Zahlungen in Kenntnis zu setzen.

Nach langwierigen Verhandlungen wurde auf dem Europäischen Rat von Santa María da Feira vom 20. Juni 2000 ein Kompromiss erzielt. Am 26./27. November 2000 erzielte der Ecofin-Rat Einigung über einen Richtlinienvorschlag.

- Österreich, Belgien und Luxemburg führen für drei Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtlinie eine Quellensteuer mit einem Satz von nicht unter 15% ein. Diese steigt für vier weitere Jahre auf 20% an.
- Alle anderen Mitgliedstaaten wenden nach dem Inkrafttreten der Richtlinie das Informationsaustauschsystem an, Österreich, Belgien und Luxemburg treten diesem System nach sieben Jahren bei.
- 25% der Quellensteuereinnahmen behält das Land ein, in dem der Anleger sein Konto führt, 75% der Einnahmen müssen an das Wohnsitzland abgeführt werden.
- Vor dem 1. März 2001 aufgelegte Anleihen fallen nicht unter die Richtlinie.
- Die Kommission hofft, bis Juli 2001 über Informationen über die Standpunkte der USA, der Schweiz und anderer Länder zu verfügen.
- Luxemburg und Österreich haben den Erlass der Richtlinie davon abhängig gemacht, dass von diesen Ländern "entsprechende Maßnahmen" eingeführt werden.