Vertrag von Nizza

Reformen für eine größere Europäische Union

Der Vertrag von Nizza sollte die notwendigen Voraussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Union schaffen. Durch interne Reformen sollte die Gemeinschaft auch mit 27 Mitgliedsländern handlungsfähig bleiben. Der Vertrag wurde im Jahr 2000 in Nizza unterzeichnet und beinhaltet folgende Neuerungen:

Neugewichtung der Stimmen im Rat
Bei Abstimmungen im Rat werden die Stimmen der Mitgliedstaaten neu gewichtet. Die Spanne der Stimmen zwischen den größten und den kleinsten EU-Mitgliedstaaten wird größer. Auch die Stimmen für die Beitrittsländer wurden bereits festgelegt. Die bevölkerungsreichen Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien haben somit ein stärkeres Gewicht als bisher erhalten, damit auch in einer erweiterten EU eine angemessene Relation zwischen Stimmengewicht und Bevölkerungsgröße erhalten bleibt.

Zur Stärkung der demokratischen Legitimation von Ratsbeschlüssen wurde zusätzlich bestimmt, dass die Mitgliedstaaten, die eine Entscheidung im Rat annehmen, mindestens 62 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Dies kann jeder Mitgliedstaat bei Bedarf nachprüfen lassen. Damit bevölkerungsärmere Staaten nicht ohne weiteres überstimmt werden können, muss eine Entscheidung immer auch von der Mehrheit der Staaten getragen sein. Diese Regelung soll im Januar 2005 in Kraft treten.

Europäisches Parlament
Für das Europäische Parlament wurde eine neue Sitzverteilung festgelegt, die die Bevölkerungsgröße der Mitgliedstaaten wesentlich stärker widerspiegelt. Als einziger Mitgliedstaat kann Deutschland danach seinen Bestand - 99 Sitze - behalten.

Größe und Neuorganisation der Kommission
Von der nächsten Amtsperiode an, also ab 2005, wird die Europäische Kommission aus je einem Kommissar pro Mitgliedstaat bestehen. Die großen Mitgliedstaaten verzichten auf ihren zweiten Kommissar. Um bei einer Erweiterung der EU die Kommission auf einer vertretbaren Größe zu halten, wurde in Nizza beschlossen, dass über eine Verkleinerung der Kommission entschieden werden muss, sobald die Union auf 27 Mitgliedstaaten angewachsen ist. Dies soll dann auf der Basis einer gleichberechtigten Rotation zwischen den Mitgliedstaaten erfolgen.

Die Position des Kommissionspräsidenten wurde deutlich gestärkt: Im Vertrag ist künftig festgeschrieben, dass er den einzelnen Kommissaren ihre Zuständigkeitsbereiche zuweisen und auch während der Amtsperiode Veränderungen vornehmen kann. Die Kommissare führen ihre Geschäfte unter seiner Aufsicht. Mit Billigung des Kollegiums kann er den Rücktritt einzelner Kommissare herbeiführen. Schließlich ernennt künftig der Präsident mit Billigung des Kollegiums die Vizepräsidenten.

Sonstige Organe und Institutionen
Das Europäische Gerichtswesen wird durch ein umfassendes Reformpaket auf wachsende Aufgaben vorbereitet: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen werden künftig jeweils 344 Mitglieder haben. Der Ausschuss der Regionen wird politisch dadurch gestärkt, dass seine Mitglieder ein Mandat auf regionaler oder lokaler Ebene innehaben müssen oder einem gewählten Gremium verantwortlich sein müssen.

Übergang zur Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit
Eine Reihe von Entscheidungen, die bisher nur einstimmig gefasst werden konnten, sollen in Zukunft per Mehrheitsentscheidung zustande kommen. Neben Personalentscheidungen - auch der Ernennung des Kommissionspräsidenten - gehören dazu vor allem Entscheidungen im Bereich der Industriepolitik, der Erleichterung der Freizügigkeit der Unionsbürger und in Teilen der Wirtschafts- und Währungspolitik. Während im Bereich Justiz/Inneres für die ziviljustizielle Zusammenarbeit (mit Ausnahme des Familienrechts) bereits mit Inkrafttreten des Vertrages von Nizza die qualifizierte Mehrheit gelten wird, wird dies - auf deutschen Wunsch - bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik davon abhängig gemacht, dass zuvor einstimmig gemeinsame Grundsätze hierfür festgelegt sind. Bei den Struktur- und Kohäsionsfonds konnte ein Einstieg in die qualifizierte Mehrheit erreicht werden: Sie gilt nach Verabschiedung der nächsten Finanziellen Vorausschau, frühestens ab dem Jahr 2007.

Die gemeinsame Handelspolitik wurde grundsätzlich auch auf den Handel mit Dienstleistungen und die Bereiche des geistigen Eigentums ausgedehnt; die Bereiche, in denen mit Mehrheit entschieden werden kann, bleiben dabei allerdings relativ eng begrenzt.

Verstärkte Zusammenarbeit
Wenn eine Gruppe von Mitgliedstaaten unter Nutzung der Gemeinschaftsinstitutionen ein Projekt vorantreiben will, bei dem nicht alle Mitgliedstaaten gleich mitmachen können oder wollen, hat sie nach Inkrafttreten der Reformen bessere Möglichkeiten dazu. Gegen die Begründung einer solchen "verstärkten Zusammenarbeit" kann ein einzelner Mitgliedstaat dann kein Veto mehr einlegen; außerdem bleibt die Mindestteilnehmerzahl wie heute auf 8 Mitgliedstaaten begrenzt. Für den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die bisher ausgenommen war, kann in Zukunft eine verstärkte Zusammenarbeit eingeleitet werden. Dabei sind allerdings militärische und verteidigungspolitische Fragen ausgenommen.

Maßnahmen bei drohender Verletzung von Prinzipien der EU durch einen Mitgliedstaat
Künftig kann die Union bereits frühzeitig auf die Gefahr reagieren, dass ein Mitgliedstaat Prinzipien der Union wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verletzt. Der Rat kann dann mit einer Mehrheit von 4/5 seiner Mitglieder nach Zustimmung des Europäischen Parlaments diese Gefahr feststellen und Empfehlungen an den betreffenden Staat richten.

Weitere Informationen

- Reformdebatte in der Europäischen Union führt zum Vertrag von Lissabon