EU-Gipfel in Porto - «Das soziale Europa ist wichtiger denn je»

07.05.2021 16:29

Ein hartes Krisenjahr liegt hinter der Europäischen Union. Jetzt
keimt Hoffnung auf wirtschaftliche Erholung. Aber wie schafft man es,
alle mitzunehmen und wichtige soziale Rechte zu sichern?

Porto (dpa) - Wirtschaft ankurbeln, Jobs erhalten, Armut lindern: Die
EU-Staaten haben bei einem Sozialgipfel in Portugal Wege für einen
gerechten Aufschwung nach der Corona-Wirtschaftskrise gesucht. «Das
soziale Europa ist heute wichtiger denn je», sagte Arbeitsminister
Hubertus Heil, der am Freitag zum Auftakt des Treffens
Bundeskanzlerin Angela Merkel vertrat.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz zeigte sich «extrem optimistisch»,

dass die Pandemie bald besiegt sei. Als Jobmotor sieht er vor allem
den Tourismus mit Hilfe eines europäischen Impfzertifikats. Die
Wiederherstellung des Binnenmarkts und der Reisefreiheit werde den
nötigen Aufwind für die Wirtschaft bringen, sagte der ÖVP-Politiker.


In der Küstenstadt Porto berieten die Vertreter der 27 EU-Staaten mit
Verbänden und Gewerkschaften, wie die 2017 in der EU vereinbarte
Säule sozialer Rechte umgesetzt werden kann. Das sind 20 Grundsätze
unter anderem für Chancengleicheit im Beruf, faire Bezahlung und gute
Arbeitsbedingungen. Diese sozialen Rechte müssten Punkt für Punkt
umgesetzt werden, sagte Sozialminister Heil. Nach dem enormen
Wirtschaftseinbruch in der Pandemie geht es aktuell aber auch darum,
Jobs zu erhalten und neue zu schaffen.

«Dies kommt genau zur richtigen Zeit», sagte EU-Kommissionschefin
Ursula von der Leyen zum Sozialgipfel. Ein hartes Jahr liege hinter
der EU. Doch jetzt komme der wichtige Schritt der Erholung. Das
beschlossene Paket mit 750 Milliarden Euro Corona-Hilfen werde dies
unterstützen. «Wir müssen sicherstellen, dass der soziale Aspekt
absolute Priorität hat», sagte sie. Es gehe um gute Jobs und
Fortbildungen für den grünen und digitalen Wandel. EU-Ratschef
Charles Michel sprach von einem «wichtigen Moment für das europäische

Projekt».

Am Rande sollte es in Porto auch um die Corona-Pandemie gehen und
dabei unter anderem um die Frage, ob Impfstoffpatente freigegeben
werden sollten, um die weltweite Versorgung voranzubringen. Die
EU-Staaten sind da uneins. Am Freitagabend wollten die Staats- und
Regierungschefs auch über außenpolitische Fragen sprechen, darunter
die Beziehungen zu Russland. Das informelle Treffen dauert bis
Samstag. Kanzlerin Merkel reist wegen der Pandemielage in Deutschland
nicht an und schaltet sich nur zeitweise per Video zu.

Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley kritisierte dies. Barley
forderte von den EU-Staaten mehr Einsatz für sozialen Zusammenhalt.
«Die EU muss endlich einen gemeinsamen Rahmen für armutsfeste
Mindestlöhne beschließen und mehr in gleiche Lebensverhältnisse von
Helsinki bis Palermo investieren», sagte die Vizepräsidentin des
Europaparlaments der Deutschen Presse-Agentur. Die
Linken-Europapolitikerin Özlem Demirel kritisierte: «Sozialpolitik
spielt in der EU nur eine untergeordnete Rolle, und das muss sich
ändern.»

Die EU-Kommission hatte zur Stärkung sozialer Rechte einen
Aktionsplan mit drei zentralen Zielen für 2030 vorgelegt. So soll
eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent in der EU erreicht
werden, mindestens 60 Prozent der Erwachsenen sollen jährlich
Fortbildungskurse belegen und die Zahl der Menschen, die von Armut
und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, soll um mindestens 15
Millionen reduziert werden.

Die gemeinsame Umsetzung dieser Ziele obliegt den 27
Mitgliedsstaaten. Viele nationale Regierungen wollen sich aber in der
Sozialpolitik von Brüssel wenig reinreden lassen. Konkrete
sozialpolitische EU-Pläne wie die Einführung örtlicher Mindestlöhne

in allen 27 Staaten sind sehr umstritten.