EuGH: Harte Flugzeuglandung gilt nicht automatisch als Unfall Von Michel Winde, dpa

12.05.2021 13:22

Das Flugzeug setzt auf, es rumpelt kräftig. Ist eine solche Landung
zwingend als Unfall zu bewerten? Und haben Passagiere, die sich dabei
verletzen, Anspruch auf Entschädigung? Das höchste Gericht in der
Europäischen Union hat gesprochen.

Luxemburg (dpa) - Wer sich bei einer harten Flugzeuglandung verletzt,
hat nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs nicht
zwingend Anspruch auf Schadenersatz. Unabhängig von der persönlichen
Wahrnehmung einzelner Passagiere handele es sich unter bestimmten
Bedingungen nicht um einen Unfall, urteilten die europäischen
Höchstrichter am Mittwoch in Luxemburg (Rechtssache C-70/20).

Hintergrund der Entscheidung ist der Fall einer Passagierin aus
Österreich, die bei einem Flug von Wien nach St. Gallen wegen einer
harten Landung einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte. Sie klagte
gegen Altenrhein Luftfahrt und forderte, das Unternehmen zu einer
Zahlung von knapp 69 000 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten zu
verurteilen. Die Frau stützte ihre Klage darauf, dass die Landung als
«hart» und somit als Unfall im Sinne des Übereinkommens von Montreal

einzustufen sei. Dieses Abkommen regelt Haftungsfragen im
internationalen zivilen Luftverkehr und gilt auch in der EU.

Altenrhein Luftfahrt machte hingegen geltend, dass die Landung auf
dem Schweizer Flughafen St. Gallen/Altenrhein im normalen
Betriebsbereich des Flugzeugs erfolgt sei. Es handele sich um ein
typisches Ereignis während eines Flugs. In dem Urteil heißt es zudem
unter Verweis auf das Oberste Gericht Österreich, dass auf dem
Flughafen aus flugtechnischer Sicht «wegen der alpinen Lage eine
harte Landung sicherer als eine zu weiche» sei. Im vorliegenden Fall
habe kein Pilotenfehler festgestellt werden können.

In Artikel 17 des Übereinkommens von Montreal heißt es: «Der
Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der
dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich
verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der
Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des
Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.» Daraus
ergebe sich, dass das Luftfahrtunternehmen nur dann hafte, wenn das
Ereignis als «Unfall» einzustufen sei, stellen die EuGH-Richter fest.

Sie kommen zu dem Schluss, dass es sich bei einer Landung, «die im
Einklang mit den für das betreffende Flugzeug geltenden Verfahren und
Betriebsgrenzen (...) und unter Berücksichtigung der Regeln der
Technik und der bewährten Praktiken auf dem Gebiet des Betriebs von
Luftfahrzeugen durchgeführt wird», nicht um einen Unfall handele.
Dies gelte auch dann, wenn der betroffene Fluggast die Landung als
unvorhergesehenes Ereignis wahrgenommen habe. Im konkreten Fall muss
die österreichische Justiz nun noch eine Entscheidung auf Basis des
EuGH-Urteils treffen.

Der EuGH befasst sich immer wieder mit den Rechten von
Flug-Passagieren, etwa bei Verspätungen oder Annullierungen. In ihrer
Entscheidung vom Mittwoch verweisen die Richter etwa auf ein Urteil
vom Dezember 2019, in dem es um Entschädigungsansprüche bei
Verbrühungen durch umgekippten Kaffee geht. Damals hatte der EuGH
entschieden, dass Fluggesellschaften haften müssen, wenn Passagiere
einen Schaden nicht selbst verursacht haben.