Nach Apple jetzt Amazon: EU-Gericht kippt Steuernachforderungen Von Ansgar Haase, dpa

12.05.2021 15:04

Im Kampf gegen als illegal erachtete Steuerdeals multinationaler
Konzerne muss die EU-Kommission erneut eine empfindliche Niederlage
hinnehmen. Nach Apple jubiliert nun Amazon. Das finale Urteil dürfte
allerdings noch nicht gefallen sein.

Luxemburg (dpa) - Schwere Schlappe für die Wettbewerbshüter der EU:
Der weltgrößte Online-Händler Amazon hat nach einem Urteil des
EU-Gerichts nicht von unerlaubten Steuervorteilen in Luxemburg
profitiert. Die zuständigen Richter kippten am Mittwoch eine
Anordnung der EU-Kommission, nach der Luxemburg von dem US-Konzern
rund 250 Millionen Euro Steuern plus Zinsen nachfordern soll. Nach
Auffassung des Gerichts hat die Brüsseler Behörde rechtlich nicht
hinreichend nachgewiesen, dass die Steuerlast einer europäischen
Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns zu Unrecht verringert wurde.

Die Anordnung im Fall Amazon hatte die EU-Kommission 2017
beschlossen, nachdem sie im Zuge einer Prüfung zu der Auffassung
gelangt war, dass Luxemburg dem Unternehmen von Mai 2006 bis Juni
2014 wettbewerbswidrige Vorteile eingeräumt habe, um es an sich zu
binden. Unterm Strich soll Amazon auf drei Viertel seiner aus dem
EU-Umsatz erzielten Gewinne keine Steuern gezahlt haben.

Dass die EU-Kommission den Richterspruch akzeptieren wird, gilt als
unwahrscheinlich. Vor dem Europäischen Gerichtshof wehrt sich die
Brüsseler Behörde bereits gegen ein Urteil, mit dem das EU-Gericht
eine Aufforderung an Irland gekippt hat, vom iPhone-Hersteller Apple
bis zu 13 Milliarden Euro an Steuern zurückzufordern. Auch im Fall
Amazon hat sie ein Einspruchsrecht.

«Wir werden das Urteil sorgfältig prüfen und über mögliche weiter
e
Schritte nachdenken», erklärte die für Wettbewerbsfragen zuständige

Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. Steuervorteile, die
nur ausgewählten multinationalen Unternehmen gewährt würden,
schädigten den fairen Wettbewerb in der EU.

Amazon selbst reagierte - wie auch das luxemburgische
Finanzministerium - erleichtert. «Wir begrüßen die Entscheidung des
Gerichts, die unserer langjährigen Auffassung entspricht, dass wir
alle geltenden Gesetze befolgen und Amazon keine Sonderbehandlung
erhalten hat», teilte ein Amazon-Sprecher mit.

Die in Kritik geratene europäische Steuerpraxis hat Amazon nach
eigenen Angaben aber trotzdem schon geändert. Das Unternehmen
versteuert seine Gewinne seit 2015 nicht mehr zentral in Luxemburg,
sondern in einzelnen europäischen Ländern. 2020 erzielte Amazon
allein in Deutschland knapp 29,6 Milliarden US-Dollar Umsatz (24,4
Mrd. Euro). Weltweit waren es rund 386 Milliarden Dollar.

Für die EU-Kommission ist das Urteil unangenehm, weil es
Befürchtungen weckt, dass als unfair und wettbewerbsverzerrend
erachtete Steuerdeals in vielen Fällen juristisch nicht zu
beanstanden sein könnten. Auch im Fall Apple hatten die Richter des
EU-Gerichts entschieden, dass die Kommission nicht ausreichend
nachgewiesen habe, dass die Steuervereinbarungen von Apple in Irland
aus den Jahren 1991 und 2007 eine verbotene staatliche Beihilfe
darstellten.

Gewonnen wurden bislang lediglich ein Verfahren um
Steuervergünstigungen für die Fiat-Gruppe in Luxemburg in Höhe von
rund 20 bis 30 Millionen Euro sowie am Mittwoch ein Verfahren um eine
Steuernachforderung in Höhe von rund 120 Millionen Euro gegen den
französischen Energiekonzern Engie. Beide Fälle waren allerdings
anders gelagert.

Nur ein schwacher Trost für die EU-Kommission ist, dass die
öffentliche Diskussion über die Fälle als einer der Gründe gilt,
warum Unternehmen wie Amazon ihre Steuerpraxis mittlerweile geändert
haben. Ein Erfolg von Apple & Co. vor dem Europäischen Gerichtshof
könnte nämlich dazu führen, dass andere Unternehmen diesem Beispiel
nicht folgen und weiter auf Steuervermeidungsdeals setzen. Mehr als
30 fragwürdige Falle hat die EU-Kommission derzeit noch unter
Beobachtung.

Das luxemburgische Finanzministerium versprach unterdessen, dass
Urteile das Bekenntnis des Landes zu Steuertransparenz und zur
Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken nicht in Frage stellten.
Das Land werde sich weiter aktiv und konstruktiv an Diskussionen über
eine internationale Unternehmenssteuerreform beteiligen, um gleiche
Ausgangsbedingungen zu gewährleisten. Vestager teilte mit, dass die
EU-Kommission weiter alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente
nutzen werde, um unlautere Steuerpraktiken zu bekämpfen.