Mehr Bahn in Europa - Branche und Politik diskutieren über Ansätze Von Matthias Arnold und Sascha Meyer, dpa

17.05.2021 17:09

Mehr Verkehr auf die Schiene, nicht nur in Deutschland, sondern in
ganz Europa: Auf dem neuesten «Schienengipfel» unterzeichneten
EU-Länder gleich mehrere Absichtserklärungen. Doch die Hindernisse
für einen transnationalen Schienenverkehr bleiben groß.

Berlin (dpa) - In fünf Stunden von Berlin nach Wien, mit dem
Expresszug sogar in vier - geht es nach den Plänen von Deutschland,
Tschechien und Österreich soll das ab den 2030er Jahren auch auf der
Schiene zu schaffen sein. Auf einer Online-Fachkonferenz
unterzeichneten die drei Länder am Montag eine entsprechende
Absichtserklärung. «Brandenburger Tor, Frauenkirche, Karlsbrücke und

Stephansdom - sie rücken über die Schiene ganz dicht aneinander»,
teilte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dazu mit. Das
Projekt sei ein «Grundstein für eine leistungsstarke,
grenzüberschreitende europäische Achse».

Die EU-Mitgliedstaaten sowie Vertreter von Unternehmen und
Branchenverbänden diskutierten auf dem diesjährigen «Schienengipfel
»
darüber, wie der grenzüberschreitende Bahnverkehr in Europa schneller
und attraktiver gestaltet werden kann. Die grundlegenden Konzepte
sind bekannt: Ein neu aufgelegter Trans-Europ-Express (TEE 2.0) soll
europäische Städte besser miteinander verbinden. Schon in naher
Zukunft könnten damit Fahrgäste durchgehend von Paris über Berlin
nach Warschau reisen. Auch ein Direktzug von München über Zürich nach

Mailand ist geplant.

Neue Nachtzugangebote sollen zudem eine weitere Alternative zum
Flugverkehr bieten und schließlich will Scheuer den sogenannten
Deutschlandtakt in einen Europatakt integrieren. Interessen- und
Branchenverbände begrüßten die Vorhaben, auch wenn das
Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene davor warnte, den zweiten Schritt
vor dem ersten zu tätigen. «Ohne einen funktionierenden
Deutschlandtakt als Fundament kann es mit einem Europatakt nichts
werden», sagte Geschäftsführer Dirk Flege.

Rückenwind kam am Montag auch von der EU. Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen betonte in einer Videobotschaft an die
Teilnehmer die Bedeutung des Schienenverkehrs für die europäischen
Klimaziele. «Unsere Strategie für nachhaltige und intelligente
Mobilität sieht eine Reduzierung der verkehrsbedingten Emissionen um
90 Prozent bis 2050 vor», sagte sie. Dazu brauche es unter anderem
eine Verdopplung des Hochgeschwindigkeitszugverkehrs bis 2030 sowie
eine Verdreifachung bis 2050. Auch der Schienengüterverkehr müsse bis
2030 um mindestens 50 Prozent wachsen und sich bis 2050 verdoppeln.

Doch am Beispiel der geplanten Verbindung zwischen Berlin und Wien
über Dresden und Prag wird auch deutlich, warum dieser Hochlauf in
Europa bislang nur schleppend voran kommt und die Schiene gegenüber
der Straße und dem Flugzeug kaum Anteile hinzugewinnt.

Da wären zum einen die langen Bau- und Planungszeiten, die auch am
Projektumfang liegen: Erst im kommenden Jahrzehnt soll die Verbindung
fertig sein. Die Deutsche Bahn will gemeinsam mit dem tschechischen
Eisenbahn-Unternehmen einen Erzgebirgstunnel bauen. Teile der
Verbindung zwischen Berlin und Prag müssen aus- oder neugebaut
werden. Dafür bedarf es auch der Mitwirkung der Bürger, die häufig
fehlt.

«Manchmal, muss man ehrlicherweise sagen, ist es in unserem Land noch
nicht so weit, dass die Menschen verstanden haben, dass sich
Mobilität ändert», sagte am Montag der Bahnbeauftragte des Bundes,
Enak Ferlemann. Der Zulauf zum Brenner-Basistunnel durch das
bayerische Inntal etwa stößt seit Jahren auf erbitterten Widerstand
von betroffenen Anwohnern und Bürgerinitiativen.

Ohne neue Infrastruktur seien sowohl die Ausbau- als auch die
Klimaziele aber nicht zu erreichen, betonte Ferlemann. «Dafür müssen

alle ihren Beitrag leisten, auch diejenigen, die Grund und Boden zur
Verfügung stellen.»

Hinzu kommt der Preis: Dass Bahnfahren in Europa nach wie vor teuer
sein kann, liegt aus Sicht des Präsidenten der Interessengemeinschaft
Mofair, Thomas Heinemann, auch an unterschiedlichen
Finanzierungsmodellen für die Infrastruktur. Das schlage sich am Ende
im Transportpreis für Güter oder für Fahrgäste nieder. Die Länder

müssten hin zu einem gemeinsamen Modell. «Ich bin fest davon
überzeugt, dass man die Schienenmaut europaweit auf Null stellen
muss, um genau das zu schaffen, was alle von uns erwarten, dass wir
endlich Verkehr von der Straße auf die Schiene lenken, egal ob das
Güter oder Menschen sind», sagte Heinemann.

Der bahnpolitische Sprecher der Grünen, Matthias Gastel, bezeichnete
den «Schienengipfel» am Montag als «Gipfel der Unverbindlichkeit».

Scheuer erweise sich dabei einmal mehr «als Meister der unkonkreten
Ankündigungen». Seit dem vergangenen Sommer preise der Minister das
neue TEE-Konzept als Zukunftsstrategie für den europäischen
Schienenverkehr an. «Doch bis heute hat er keine konkreten Schritte
unternommen, damit dieses Konzept in reale Angebote umgesetzt wird.»

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, hatte sich am
Sonntag dafür ausgesprochen, Kurzstreckenflüge abzuschaffen. Auch
Billigpreise wie 29 Euro für Mallorca-Flüge dürfe es nicht mehr
geben, wenn man es mit der Klimapolitik ernst meine, sagte Baerbock
der «Bild am Sonntag». Ähnlich hatte sich zuvor bereits
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geäußert. Die Union lehnte
Forderungen nach einem Verbot von Kurzstreckenflügen ab.