Schlappe für Gegner der EZB-Staatsanleihenkäufe in Karlsruhe Von Marco Krefting und Friederike Marx, dpa

18.05.2021 16:14

Die Geldpolitik der EZB ist in Deutschland umstritten. Auch das
Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt Zweifel und stellte sich
erstmals gegen das höchste EU-Gericht. Die Bundespolitik bekam
Aufgaben auferlegt. Deren Umsetzung beschäftigt nun das Gericht.

Karlsruhe (dpa) - Die Deutsche Bundesbank kann sich weiter
uneingeschränkt an den umstrittenen Staatsanleihenkäufen der
Europäischen Zentralbank (EZB) beteiligen. Bundesregierung und
Bundestag haben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor gut
einem Jahr die Käufe ausreichend überprüft. Zu diesem Fazit kommt das

Gericht in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss vom 29.
April.

Zwei Anträge auf Erlass einer sogenannten Vollstreckungsanordnung,
mit der das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung des Urteils hätte
bestimmen können, verwarf der Zweite Senat als unbegründet. (Az.: 2
BvR 1651/15 u.a.) Die Gegner der Staatsanleihenkäufe reagierten
enttäuscht.

Das Verfassungsgericht hatte vor gut einem Jahr Staatsanleihenkäufe
der EZB beanstandet und sich damit zum ersten Mal über eine
Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinweggesetzt.
Der Zweite Senat hatte mehreren Klagen gegen das 2015 gestartete
Kaufprogramm PSPP zur Ankurbelung von Inflation und Konjunktur
überwiegend stattgegeben. Die Notenbank überspanne damit ihr Mandat
für die Geldpolitik.

Die Bundesbank darf demnach nur mitmachen, wenn der EZB-Rat
nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem milliardenschweren
Kaufprogramm angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer
Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und
fiskalpolitischen Auswirkungen stehen. Die Bundesregierung bekam drei
Monate Zeit, die EZB zu einer Überprüfung des beanstandeten
Kaufprogramms zu bewegen. Die Bundesbank ist der größte Anteilseigner
der Zentralbank. Entsprechend groß ist ihr Kaufvolumen.

Es gab aber unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Politiker die
Vorgaben des Gerichts ordnungsgemäß umgesetzt haben. Während
Bundesregierung und Bundestag davon überzeugt waren, sahen der
ehemalige CSU-Politiker Peter Gauweiler und eine Klägergruppe um den
früheren AfD-Chef Bernd Lucke das anders und erzwangen eine
Überprüfung durch das Gericht.

Das Verfassungsgericht listete auf, was seit dem Urteil alles
geschehen sei: So hätten sich beispielsweise verschiedene
Bundestagsausschüsse schnell mit dem Thema befasst. Im Plenum habe es
eine Aktuelle Stunde gegeben und die Wissenschaftlichen Dienste des
Bundestages hätten eine Ausarbeitung zur Unionsrechtskonformität des
PSPP erstellt.

Der EZB-Rat habe dann auf einer geldpolitischen Sitzung Anfang Juni
unter anderem zwei Beschlüsse gefasst, die die Verhältnismäßigkeit

des PSPP zum Gegenstand haben. Ende Juni habe die Bundesbank dem
Bundesfinanzministerium verschiedene - teils als vertraulich
eingestufte - Dokumente der EZB übersandt, die Abgeordnete in der
Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen konnten. Am 2. Juli habe
der Bundestag nach einer öffentlichen Debatte festgestellt, dass die
vom EZB-Rat durchgeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung den
Anforderungen aus dem Urteil genüge.

«Im Ergebnis sind Bundesregierung und Bundestag damit weder untätig
geblieben», bilanzierte der Senat. Noch hätten sie offensichtlich
ungeeignete oder völlig unzureichende Maßnahmen getroffen, um ihrer
Verpflichtung nach dem Urteil nachzukommen. «Es ist nicht
ersichtlich, dass sie dabei ihren Einschätzungs-, Wertungs- und
Gestaltungsspielraum überschritten haben.» Außerdem seien die
Vollstreckungsanträge unzulässig, weil sie über die beurteilte Sach-

und Rechtslage hinausgingen, hieß es in der Mitteilung weiter.

Die Kritiker der Staatsanleihenkäufe reagierten enttäuscht. Lucke
kritisierte, dass Einblick in die EZB-Dokumente nicht möglich sei.
Gauweiler kündigte an, Demokratie und Rechtsstaat erneut vor dem
Bundesverfassungsgericht zu verteidigen, wenn Bundesregierung und
Bundestag ihre Pflicht verletzten, die Grundsätze der Demokratie,
«gegen Anmaßungen der EU-Organe zu verteidigen».

Weil sich Karlsruhe mit seinem Urteil vom 5. Mai 2020 offen gegen den
EuGH gestellt hatte, prüft die EU-Kommission noch, ob sie ein
sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet.
Der EuGH hatte dem Kaufprogramm im Dezember 2018 gegen massive
Bedenken aus Karlsruhe seinen Segen erteilt.

Über Anleihenkäufe kommt viel Geld in Umlauf, das heizt normalerweise
die Inflation an. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate
knapp unter 2,0 Prozent an. Stagnierende oder fallende Preise können
Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben.
Das kann die Konjunktur bremsen.

Nach Einschätzung von Friedrich Heinemann von Zentrum für Europäische

Wirtschaftsforschung (ZEW) hat Karlsruhe mit dem Beschluss «die
verfassungsrechtliche Auseinandersetzung um die EZB-Anleihekäufe im
Rahmen des PSPP vor der Pandemie endgültig ad acta gelegt».

Klagen sind in Karlsruhe allerdings auch gegen das aktuelle
Notkaufprogramm für Staatsanleihen und Wertpapiere von Unternehmen
(Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) eingegangen, das nicht
Gegenstand des Verfahrens war. Mit dem seit rund einem Jahr laufenden
Programm stemmen sich Europas Währungshüter gegen die ökonomischen
Folgen der Corona-Pandemie.