EU soll Vermittlungsbemühungen im Nahost-Konflikt ausbauen Von Ansgar Haase, Michael Fischer und Can Merey, dpa

18.05.2021 20:21

Können Deutschland und die EU im Nahost-Konflikt eine relevante Rolle
als Vermittler spielen? Am Rande von Gesprächen der EU-Außenminister
gibt es Zweifel - und wieder einmal ein für die EU unangenehmes Veto.

Brüssel (dpa) - Die EU soll sich nach Ansicht der Bundesregierung
verstärkt in die Anstrengungen um eine Beilegung des eskalierenden
Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern einschalten.
Deutschland sei dafür, die über den EU-Sonderbeauftragten Sven
Koopmans laufenden Vermittlungsbemühungen weiter auszubauen, erklärte
Außenminister Heiko Maas am Dienstag zu einer per Videokonferenz
organisierten EU-Sondersitzung.

Ein mögliches Format dafür ist nach den Worten des SPD-Politikers das
zuletzt reaktivierte Nahost-Quartett. Die Vierergruppe aus den USA,
Russland, den Vereinten Nationen und der EU bemüht sich bereits seit
2002 um eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kündigte nach den Beratungen
der Außenminister an, dass der Sonderbeauftragte Koopmans nun in die
Region geschickt und mit dem Nahost-Quartett und anderen Partnern
zusammenarbeiten werde.

Überschattet wurde die Videokonferenz von einem Veto Ungarns, das
eine gemeinsame Positionierung der Außenminister zum eskalierenden
Nahost-Konflikt verhinderte. Borrell nannte für die Blockade keine
Gründe. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban pflegt
allerdings eine strikt loyale Position zur israelischen Regierung und
persönlich zu Regierungschef Benjamin Netanjahu.

EU-Diplomaten gingen deswegen davon aus, dass Ungarn vor allem die
auch an Israel gerichteten Aufforderungen nicht mittragen wollte.
Borrell hatte sich nach eigenen Angaben im Namen aller 27 Staaten für
eine «sofortige Einstellung aller Gewalt und die Umsetzung eines
Waffenstillstands» aussprechen wollen. Zudem wollte er die hohe Zahl
der getöteten Zivilisten - darunter Frauen und Kinder - im Namen der
ganzen EU als inakzeptabel bezeichnen.

In Folge des Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen, den militante
Palästinenser am Montag vergangener Woche begannen, sind in Israel
bislang zwölf Menschen getötet worden. Das Gesundheitsministerium in
Gaza bezifferte die Zahl der Getöteten bei israelischen Angriffen auf
213, unter ihnen 61 Kinder.

Bereits vor dem ungarischen Veto hatten Diplomaten auch vor allzu
großen Erwartungen an die europäischen Vermittlungsbemühungen
gewarnt. So hat die EU die für den Raketenbeschuss Israels
verantwortliche Palästinenserorganisation Hamas bereits vor rund 20
Jahren als Terrororganisation eingestuft, was direkte Gespräche so
gut wie unmöglich macht. Hinzu kommt, dass auch die Beziehungen zu
Israel nicht unbelastet sind. Die EU erließ beispielsweise 2015 eine
Kennzeichnungspflicht für Obst, Gemüse und andere landwirtschaftliche
Erzeugnisse israelischer Siedler in den besetzten Gebieten. Israel
reagierte darauf mit der Ankündigung, die EU vorerst nicht mehr als
Vermittler im Nahost-Friedensprozess zu akzeptieren.

Nicht zuletzt halten manche Diplomaten auch das besondere deutsche
Verhältnis zu Israel als einen Grund für die bislang eher
unbedeutende Rolle der EU bei den Bemühungen um einen Nahost-
Friedensprozess. Dass die Bundesrepublik Israel eher als andere in
Schutz nehme und zum Beispiel über eine Sanktionierung von
Siedlungsaktivitäten nicht reden wolle, verhindere europäischen Druck
auf Israel, heißt es aus mehreren Mitgliedstaaten hinter
vorgehaltener Hand.

Wenn sich nun die Aufmerksamkeit etwas in Richtung Brüssel verlagert,
könnte das Maas Recht sein. Auf ihn prasselten in den vergangenen
Tagen von allen Seiten Forderungen nach einem stärkeren Engagement
Deutschlands im Nahen Osten ein. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena
Baerbock verlangte sogar die Entsendung einer Verhandlungsdelegation
mit «hochrangigen Vertretern» der Bundesregierung, um zusammen mit
Verbündeten ein sofortiges Ende der Gewalt zu vermitteln.

Bisherige Initiativen haben keine sichtbaren Erfolge gebracht. So
gründete Maas mit seinen Kollegen aus Frankreich, Jordanien und
Ägypten vor gut einem Jahr eine Vierer-Gruppe, um «vertrauensbildende
Maßnahmen» zwischen Israel und den Palästinensern zu unterstützen.

Das letzte Treffen in diesem sogenannten Kleeblatt-Format kam im März
in Paris zusammen.

Wenige Wochen später eskalierte nun wieder die Gewalt. In Folge des
Raketenbeschusses aus dem Gazastreifen, den militante Palästinenser
am Montag vergangener Woche begannen, sind in Israel bislang zwölf
Menschen getötet worden, Hunderte weitere wurden verletzt. Das
Gesundheitsministerium in Gaza bezifferte die Zahl der Getöteten bei
israelischen Angriffen auf 213, unter ihnen 61 Kinder. Verletzt
worden seien 1442 Menschen.

«Die Hamas hat mit ihrem Raketenterror bewusst eine Situation
eskaliert, die schon zuvor höchst angespannt gewesen ist - und das
mit schrecklichen Folgen für Israelis und auch für die eigene
Zivilbevölkerung in Gaza», sagte Maas zur aktuellen Situation. Er
kündigte an, dass Deutschland für humanitäre Hilfe im Gazastreifen
rund 40 Millionen Euro zur Verfügung stellt.

Mit großen politischen Erwartungen sieht sich unterdessen Israels
engster Verbündeter konfrontiert: Die Vereinigten Staaten. Für
US-Präsident Joe Biden hatte das Thema allerdings weder im Wahlkampf
noch in seinen ersten Monaten im Amt hohe Priorität - ganz anders als
bei seinem Vorgänger Donald Trump, der klar an der Seite Israels
stand. Mit dem Aufflammen der Gewalt hat es Biden nun eingeholt. Der
Demokrat geriet dabei in den vergangenen Tagen unter wachsenden
Druck, sich stärker für ein Ende der Gewalt einzusetzen. In einem
Telefonat mit Netanjahu - dem dritten in sechs Tagen - erklärte Biden
am Montag nach Angaben des Weißen Hauses seine Unterstützung für eine

Waffenruhe.

Eine Forderung nach einem sofortigen Ende der Gewalt war aus der
diplomatischen Formulierung des Weißen Hauses aber nicht
herauszulesen - genau das hatten 29 der 50 demokratischen
US-Senatoren zuletzt verlangt. Biden appellierte nun an Israel, «alle
Anstrengungen zu unternehmen, um den Schutz unschuldiger Zivilisten
zu gewährleisten». Eines machte Biden aber auch am Montag deutlich:
Dass er weiter konsequent hinter Israels Recht auf Selbstverteidigung
gegen «terroristische Gruppen» wie die Hamas steht.

Bereits Ende vergangener Woche hatte die US-Regierung den
Spitzendiplomaten Hady Amr in die Region geschickt, um bei den
Konfliktparteien auf Deeskalation zu drängen - bislang ohne Erfolg.
Bidens Regierung sieht sich genötigt, ihr Vorgehen zu verteidigen.
Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte am Montag, man sei
der Ansicht, mit «stiller intensiver Diplomatie» aktuell am meisten
erreichen zu können. In der vergangenen Woche hätten
Regierungsmitarbeiter, von Präsident Biden bis zu unteren Ebenen,
mehr als 60 Gespräche mit Vertretern Israels, der Palästinenser und
vielen Partnern in der Region geführt. Es liefen viele Gespräche
«hinter den Kulissen».