Unternehmensteuer für das 21. Jahrhundert? EU bohrt ein dickes Brett Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

18.05.2021 17:23

Gewinne verschieben, Steuern sparen: Einige Konzerne nutzen
«aggressive Steuerplanung», um möglichst wenig an den Fiskus
abzuführen. In der EU bringt das Streit und Ungleichgewichte. Die
EU-Kommission will Abhilfe schaffen.

Brüssel (dpa) - Bis zu 70 Milliarden Euro jährlich gehen den
EU-Staaten laut Schätzungen durch Steuervermeidung großer Konzerne
verloren - aus Sicht der EU-Kommission untragbar in Zeiten großer
Haushaltslöcher und Pandemiekosten. Die Brüsseler Behörde plant
deshalb einen neuen Anlauf, mit Hilfe einheitlicher Regeln
Steuerschlupflöcher zu stopfen und das Aufkommen zwischen den
EU-Staaten fairer zu verteilen. Firmen lockt sie mit Kostenersparnis
durch weniger Bürokratie.

Geplant sei eine «Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert»,
sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis bei der Präsentation der
Pläne am Dienstag in Brüssel. «Wir müssen in Europa Steuern neu
denken», pflichtete Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni bei. An
Ehrgeiz mangelt es also nicht. Der Erfolg der Initiative ist freilich
fraglich. Wieder einmal, muss man sagen.

Die Kommission hatte schon 2011 ein ähnliches Konzept vorgelegt: die
Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage,
abgekürzt GKKB oder auch CCCTB nach dem englischen Begriff. 2016
erneuerte die EU-Behörde den Vorstoß - schon damals mit dem Hinweis
auf jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch
Steuervermeidung und «aggressive Steuerplanung», meist durch
Verschiebung von Gewinnen in Länder mit niedrigen Steuersätzen. Beide
Vorlagen versandeten, weil sich die EU-Staaten nicht einig wurden.

Kurzfristig kündigt die Kommission jetzt zunächst einige kleinere
Initiativen an. So will sie in den nächsten Monaten eine neue Regel
auf den Weg bringen, nach der große Konzerne ihre tatsächliche
Steuerquote offen legen müssen. Eine zweite Initiative soll den
Missbrauch von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke eindämmen. Zudem
ist ein Vorschlag zur Absetzbarkeit von Kosten für die Finanzierung
über Fremdkapital geplant. Und die Kommission empfiehlt den
EU-Staaten, Unternehmensverluste aus den Pandemiejahren 2020 und 2021
mit früheren Gewinnen verrechnen zu lassen.

Mittelfristig will die Behörde dann das große Rad drehen: Der alte
CCCTB-Vorschlag soll zurückgezogen und 2023 durch ein Konzept namens
BEFIT ersetzt werden. Vorerst nennt die Behörde nur Eckpunkte:
Geplant sei ein einheitliches Regelwerk für Unternehmen, die in
mehreren EU-Staaten tätig sind. Basis sei eine einheitliche
Bemessungsgrundlage und eine Verteilformel, also eine Methode, die
Rechte zur Besteuerung zwischen den 27 EU-Staaten aufzuteilen. Die
Steuersätze würden national bleiben.

Die EU-Kommission wirbt mit dem Argument der Verlässlichkeit sowohl
für Unternehmen als auch für die EU-Staaten. Der Binnenmarkt würde
besser funktionieren, und die steuerpflichtigen Unternehmen hätten es
leichter. «Firmen, die in der EU Geschäfte betreiben, müssen immer
noch mit bis zu 27 verschiedenen nationalen Steuersystemen fertig
werden», erklärt die Kommission. Das sei kompliziert und lasse
Schlupflöcher - zulasten anderer Steuerzahler.

Doch nützten diese Argumente bisher wenig, da die Interessen der
EU-Staaten weit auseinander laufen. Länder wie Irland, Luxemburg oder
die Niederlande haben große Konzerne mit günstigen Steuern angelockt,
oft zum Verdruss ihrer Nachbarn und der EU-Kommission. Die versuchte
immer wieder, wettbewerbsrechtlich gegen Steuersparmodelle
vorzugehen, erlitt aber erst vergangene Woche im Streit mit Luxemburg
und dem Digitalriesen Amazon wieder eine Schlappe vor dem EU-Gericht.

Luxemburg wehrt sich regelmäßig gegen Vorwürfe unlauterer
Steuerpraktiken. Aber eine Untersuchung des Instituts der deutschen
Wirtschaft zeigte 2019 deutlich, wer bei einer gemeinsamen
Bemessungsgrundlage am meisten zu verlieren hätte: Irland, die
Niederlande und Luxemburg. Gewinner wären indes Frankreich, Italien,
Spanien und auch Deutschland. Genau diese Umverteilung macht eine
Einigung schwierig, denn es braucht Einstimmigkeit aller 27 Staaten.

Kommissar Gentiloni gab sich trotzdem zuversichtlich, dass es diesmal
klappen könnte. Zwei Gründe nannte er: Die Situation nach der
Pandemie, die eine verlässliche öffentliche Finanzierung nötig mache.

Und die für den Sommer anvisierte Einigung auf globale Regeln zur
Unternehmensteuer im Rahmen der Industriestaatenorganisation OECD.
Auch hier geht es um Verteilformeln, um ähnliche Prinzipien im
globalen Maßstab. Darauf könne man aufbauen. «Lasst uns die
Herausforderung annehmen», sagte Gentiloni.

Unterstützung kommt vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Doch
der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber ist skeptisch. Grundsätzlich
sei der Ansatz der Kommission vernünftig. «Allerdings hat sich die
Kommission mit ähnlichen Vorschlägen bereits mehrfach eine blutige
Nase geholt», meinte Ferber. Der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold
sieht das ähnlich: «Pläne für mehr Steuergerechtigkeit sind nichts

wert, wenn sie von einzelnen Steueroasen per Veto blockiert werden
können.»