Streit um Mali in Berlin - Dilemma beim Einsatz deutscher Soldaten Von Carsten Hoffmann, dpa

17.09.2021 15:31

Schiebt die malische Militärjunta russische Söldner wie einen
Prellbock zwischen sich und freie Wahlen? Frankreich, Deutschland und
die Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas bauen eine Drohkulisse auf.

Berlin (dpa) - In Berlin wächst der Druck für eine schnelle
Überprüfung der laufenden Einsätze von insgesamt 1200 deutschen
Soldaten im westafrikanischen Mali. Das Auswärtige Amt und das
Verteidigungsministerium unterrichteten am Freitag die Obleute im
Bundestag über Erkenntnisse, wonach die mit einem Militärputsch an
die Macht gekommene Führung um den malischen Oberst Assimi Goïta mit
russischen Akteuren verhandelt. Gegenstand von Gesprächen ist demnach
ein Einsatz russischer Söldner der Militärfirma Wagner, bei dem es um
Ausbildung und Personenschutz gehen soll.

«Die Berichte über einen möglichen Einsatz russischer Söldner in Ma
li
werfen Fragen auf. Sollte es dazu kommen, müssen wir mit den
internationalen Partnern und im Verteidigungsausschuss über mögliche
Konsequenzen sprechen», sagte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) den
Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Wir müssen die Frage beantworten,
ob das Ziel, in dem Land unter anderem für Stabilität zu sorgen, noch
realistisch ist.» SPD-Fraktionschefs Rolf Mützenich forderte im
Deutschlandfunk, das Mandat für den Bundeswehr-Einsatz zu überprüfen.


Ungeachtet des Engagements der Europäischen Union und der UN haben
Militärs in Mali seit 2020 zwei Mal geputscht und dabei eine korrupte
und weitgehend erfolglose Regierung abgelöst. Bis Februar 2022 läuft
eine Übergangsfrist für Neuwahlen - und die Militärführung
verschleppt die Vorbereitungen dazu.

Der Zeitplan für eine demokratische Wahl in Mali müsse strikt
eingehalten werden, forderte die westafrikanische
Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas in der Nacht zu Freitag. Beschlossen
wurden Sanktionen wie Reiseverbote und Kontensperrungen für
diejenigen, die den Übergang zur Demokratie behindern. Der
Staatenbund verurteilte die Inhaftierung von Oppositionellen und
kritisierte «aufs Schärfste» die Entscheidung der Übergangsbehörd
en,
private Sicherheitsunternehmen in Mali zu beauftragen.

Die Kritik führt zum Stichwort «Personenschutz», denn die russischen

Söldner können als Sicherheitsgarantie der Militärjunta gegen
Kritiker im eigenen Land eingekauft werden. Allerdings hat das
bitterarme Mali kaum Geld und ringt mit Islamisten und kriminellen
Banden. Welche Forderungen die russische Seite für einen Einsatz der
Söldner stellen würde, ist unbekannt. Oder könnte es Moskau reichen,

die Auftragskämpfer als Keil in das Räderwerk westlicher Interessen
einzuklemmen?

Paris und Berlin bauen eine Drohkulisse auf und sprechen sich auf
Ebene der Minister und zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und
Präsidenten Emmanuel Macron ab. Seit 2013 hat Deutschland 640
Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit an Mali gegeben. Im
März 2021 - noch vor dem zweiten Putsch in dem Land - wurden Zusagen
über 69 Millionen Euro gemacht, neue Vorhaben danach aber auf Eis
gelegt. Freie Wahlen bis März 2022 sind «Prüfmarke» für die Freig
abe
des Geldes, heißt es in Berlin.

An der UN-Mission Minusma zur Stabilisierung des Landes sind etwa 900
Männer und Frauen aus Deutschland beteiligt. Rund 300 deutsche
Soldaten sind zudem für die seit 2013 laufenden EU-Ausbildungsmission
EUTM im Land, die bislang nach eigenen Angaben 15 000 malische
Soldaten geschult hat. Der Erfolg gilt als mäßig, teils fehlt es in
Mali schon an der Buchführung, wo Soldaten, Sold und Waffen sind.

«Gewalt greift vielerorts in Mali so schnell um sich, dass sie das
Fortbestehen des Staates gefährdet», warnte das UN-Hochkommissariat
für Menschenrechte (OHCHR) erst im August nach einem elftägigen
Besuch und nannte außergerichtliche Hinrichtungen, Tötungen, die
Entführung von Zivilisten und Gruppenvergewaltigungen. Nun drohe ein
Überschreiten einer «kritischen Schwelle».

In der EU wird ein solcher Zusammenbruch der Staatlichkeit und die
Flucht vieler Menschen vor Gewalt und Klimaschäden aus der
Sahelregion befürchtet. Es ist ein Dilemma: Soll man etwa - zudem
kurz nach dem Scheitern in Afghanistan - vor einem drohenden Chaos
oder auch einem Einsatz russischer Söldner zurückweichen?

«Unsere Außenpolitik muss endlich einer Strategie folgen und unsere
Interessen abbilden. Das bedeutet in diesem Fall, dass die
Bundesrepublik Deutschland ein Interesse an einer stabilen
Sahel-Region hat», sagt der FDP-Verteidigungspolitiker Alexander
Müller, fordert aber klar definierte Ziele. «Wenn wir aufgrund
russischer Söldner unsere Interessen in der Region in Frage stellen,
gerät unsere Außenpolitik zum Spielball Russlands.»