Bütikofer: Russisches «Triumphgeschrei» zu Nord Stream 2 verfrüht

19.09.2021 11:12

Für die Grünen bedeutet die Fertigstellung der Gaspipeline Nord
Stream 2 nicht zwangsläufig, dass sie auch in Betrieb geht. Das
europäische Energierecht könnte das Projekt ihrer Meinung nach noch
stoppen.

Brüssel (dpa) - Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 könnte
nach Ansicht des Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer zur
Investitionsruine werden. «Das Triumphgeschrei, mit dem die russische
Seite die Fertigstellung der Nord Stream 2 Pipeline feiert, ist
verfrüht», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Auch wenn Nord
Stream 2 jetzt gebaut sei, müsse die Pipeline die Erfordernisse des
europäischen Rechts erfüllen.

So gebe es etwa das Prinzip des sogenannten Unbundlings (Deutsch:
Entflechtung). Dieses besage, dass Gasproduktion und Infrastruktur
zur Lieferung nicht in einer Hand liegen dürfe, um Monopole zu
verhindern. «Dieses Unbundling hat Gazprom bisher für die Pipeline
nicht vorgenommen», so Bütikofer mit Blick auf Nord Stream 2 und den
russischen Gasriesen Gazprom. Zudem müssten laut europäischem
Energierecht auch Dritte das Recht haben, in die Pipeline
einzuspeisen, wofür Gazprom noch keine Lösung gefunden habe.

Die Pipeline war vor wenigen Tagen fertiggestellt worden. Künftig
sollen durch die Leitung jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas von
Russland nach Deutschland fließen. Bei russischen Nachbarländern wie
Polen und den baltischen Staaten stößt das Projekt aber auf große
Vorbehalte. Die USA, die Ukraine und andere Staaten hatten gegen die
Pipeline erbitterten Widerstand geleistet. Auf die Frage, ob die
Fertigstellung des Projekts ein großer Triumph für den russischen
Präsidenten Wladimir Putin sei, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow
gesagt: «Wenn Nord Stream 2 in Betrieb geht, dann sind die
Energielieferanten ebenso die Gewinner wie die Verbraucher. Also
alle.»

Nach Überzeugung der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock würde

eine Inbetriebnahme der Pipeline massive geopolitische Probleme
aufwerfen. Der Kreml mache unverhohlen deutlich, «dass die Leitung
dem Zweck dient, Druck auf die Ukraine auszuüben, weil mit Nord
Stream 2 der Gastransit durch die Ukraine überflüssig wird», sagte
Baerbock dem «Handelsblatt». Polen und Balten seien «entsetzt über

die fehlende Unterstützung der deutschen Bundesregierung». Der
Schaden für Europa sei immens. «Das Verhalten Deutschlands
konterkariert die europäischen Sanktionen gegenüber Russland und
belastet unser Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn.»

Zudem sei die Pipeline unnötig, weil die bestehende Gasinfrastruktur
ausreiche, sagte Baerbock. «Nord Stream 2 ist darauf ausgelegt, noch
2060 Erdgas nach Europa zu bringen. Das widerspricht offensichtlich
diametral den europäischen und den deutschen Klimazielen.»

Für die Inbetriebnahme ist noch eine Zertifizierung durch die
deutschen Behörden notwendig. Wann die Starterlaubnis vorliegt, ist
nicht klar. Doch selbst wenn die Bundesnetzagentur den Betrieb
genehmigen sollte, könne die EU-Kommission dem Projekt noch einen
Strich durch die Rechnung machen, so Bütikofer. Sollte sie valide
Argumente sehen, dass eine möglicherweise positive Entscheidung der
Bundesnetzagentur gegen das europäische Energierecht verstößt, könn
te
die Pipeline laut Bütikofer eine «Investitionsruine» werden.