Kataloniens Separatistenführer Puigdemont in Italien kurz festgesetzt Von Manuel Schwarz, Ansgar Hase und Jan-Uwe Ronneburger, dpa

24.09.2021 18:53

2017 wollte Carles Puigdemont Katalonien aus dem spanischen
Staatsverband herausbrechen. Das ging schief, er floh ins Ausland und
seither ist ihm die spanische Justiz auf den Fersen. Nun hat sie ihn
in Italien erwischt. Aber das könnte auch sein Kalkül gewesen sein.

Madrid/Rom/Brüssel (dpa) - Die italienische Grenzpolizei wartete
schon auf den prominenten Flüchtling vor der spanischen Justiz. Kaum
hatte der frühere katalanische Regionalregierungschef Carles
Puigdemont auf dem Flughafen der Stadt Alghero im Nordwesten
Sardiniens am Donnerstag das Flugzeug verlassen, wurde er auch schon
festgesetzt. Grund war ein europäischer Haftbefehl des Obersten
Gerichtshofs Spaniens von 2019. Nur einen Tag später war er nach
Medienberichten aber schon wieder auf freiem Fuß.

Die spanische Justiz wirft dem 2019 zum EU-Abgeordneten gewählten
Puigdemont wegen des illegalen Unabhängigkeitsreferendums von 2017
unter anderem Rebellion vor. Am Freitag schon ließ die italienische
Richterin Plinia Azzena den Katalanen wieder laufen. Er dürfe die
Insel auch verlassen. Zuvor war berichtet worden, die Richterin habe
es Puigdemont zur Auflage gemacht, die Insel nicht zu verlassen, bis
die Frage einer Überstellung an Spanien geklärt ist. Als nächster
Gerichtstermin wurde der 4. Oktober festgelegt. Dann wird verhandelt,
wie es mit dem von Spanien ausgestellten europäischen Haftbefehl
weitergeht. Daran könne Puigdemont eventuell auch nur per
Videoschalte teilnehmen, berichtete die Zeitung «La Vanguardia» unter
Berufung auf seine Anwälte.

Puigdemonts Probleme mit der spanischen Justiz gehen auf das Jahr
2017 zurück. Damals hatte die spanische Polizei mit großer Härte
versucht, ein am 1. Oktober in Katalonien abgehaltenes illegales
Unabhängigkeitsreferendum zu unterbinden. Da fast nur Befürworter der
Abspaltung abstimmten, gab es eine große Mehrheit für die
Unabhängigkeit.

Nachdem Puigdemont die Unabhängigkeit der Region ausgerufen und
sofort wieder ausgesetzt hatte, wurde er von Madrid abgesetzt und
Katalonien unter Direktverwaltung der Zentralregierung gestellt.
Puigdemont und einige seiner Mitstreiter flohen ins Ausland. Die
führenden Separatisten, die nicht flohen, wurden 2019 zu langjährigen
Haftstrafen zwischen 9 und 13 Jahren verurteilt, im vergangenen Juni
aber begnadigt.

Puigdemonts spanischer Anwalt Gonzalo Boye hatte sich am Freitag
schon zuversichtlich gezeigt, dass sein Mandant bald freikommen
werde. Auch Puigdemonts italienischer Anwalt Agostinangelo Marras
hatte sich ähnlich geäußert. «Er ist zuversichtlich, dass sich der

Fall baldmöglichst löst und er schnell wieder in Freiheit kommt»,
zitierte ihn Ansa.

Die zeitweise Festsetzung Puigdemonts in Italien ist indes nicht nur
politisch, sondern auch aus juristischer Perspektive brisant. Der
Katalane wehrt sich derzeit vor dem Gericht der EU dagegen, dass das
Europäische Parlament im März per Mehrheitsentscheidung seine
Immunität als Abgeordneter aufhob. Dabei stellte er auch einen Antrag
auf die vorläufige Wiederherstellung der parlamentarischen Immunität
bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichtshofs. Dieser wurde
allerdings von dem zuständigen Richter abgelehnt - unter anderem mit
der Begründung, dass Spanien versichert habe, dass der Haftbefehl
gegen Puigdemont bis zu einer endgültigen Entscheidung des
Gerichtshofs zu Auslieferungsfragen nicht vollstreckt werde.

Puigdemonts belgischer Anwalt Simon Bekaert zeigte sich
dementsprechend empört, dass Puigdemont bei der Einreise von der
Polizei überhaupt belangt worden war. «Entweder hat Italien einen
Fehler gemacht oder Spanien hat den EuGH getäuscht», kommentierte er
am Freitag. Bekaert sagte der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel, es
werde bereite ein neuer Eilantrag auf Wiederherstellung der
parlamentarischen Immunität beim Europäischen Gerichtshof in
Luxemburg vorbereitet. Dieser soll eingereicht werden, falls die
italienischen Behörden eine Überstellung Puigdemonts nach Spanien in
die Wege leiten sollten.

Der Gerichtshof habe zuletzt deutlich gemacht, dass Puigdemont bis zu
einer endgültigen Klärung des Rechtsstreitigkeiten weder festgenommen
noch ausgeliefert werden sollte, erklärte Bekaert. So sei
ausdrücklich festgehalten worden, dass im Fall einer Festnahme erneut
ein Antrag auf eine einstweilige Anordnung zur Wiederherstellung der
parlamentarischen Immunität gestellt werden könne.

Für Fulco Lanchester, ein italienischer Professor und Experte für
Verfassungsrecht an der Universität La Sapienza in Rom, ist die Sache
so klar, dass er davon ausgeht, Puigdemont sei das Risiko einer
kurzzeitigen Verhaftung absichtlich eingegangen. «Meiner Meinung nach
war das eine bewusste Aktion Puigdemonts, um auf seine Sache
aufmerksam zu machen. Er ist ein kalkuliertes Risiko eingegangen, um
die Öffentlichkeit zu suchen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Es sei «schwer zu glauben, dass jemand, der mit einem internationalen
Haftbefehl gesucht wird und keine Immunität genießt, so eine
Verhaftung nicht bewusst herbeigeführt hat».

Auch der Ort der Verhaftung sei sehr symbolisch: Alghero, das auch
«kleines Barcelona» genannt wird, ist eine katalanische Sprachinsel
auf Sardinien. Die Katalanen hatten die Gegend Ende des 14.
Jahrhunderts erobert und die einheimische Bevölkerung vertrieben.
Puigdemont war auf die Insel gereist, um unter anderem an dem
Adifolk-Festival teilzunehmen, einer Veranstaltung zur Verbreitung
der katalanischen Kultur. Dazu reisten auch etwa 1000 Katalanen an,
von denen er erwarten konnte, dass sie sich lautstark für ihren
«Präsidenten im Exil» und die Unabhängigkeit Kataloniens stark mach
en
würden.

Solch öffentliche Unterstützung kann Puigdemont gut gebrauchen. Als
die bestimmende Kraft im Lager der unnachgiebigen Separatisten ist er
durch den Beginn des Dialogs des gemäßigteren heutigen
Regionalpräsidenten Kataloniens, Pere Aragonès, mit dem spanischen
Regierungschef Pedro Sánchez über eine Beendigung des jahrelangen
Konflikts etwas ins Hintertreffen geraten.

Sánchez rief Puigdemont am Freitag auf, sich der Justiz zu stellen.
Zugleich bekräftigte er seinen Willen zum Dialog. Während manche
Separatisten Sánchez «Unterdrückung» Kataloniens vorwerfen und
Aragonès schon mal einen «Verräter» nennen, steht Puigdemont durch

die Nacht im Polizeigewahrsam aufgrund eines spanischen Haftbefehls
wieder als aufrechter Kämpfer für die katalanische Sache im
Mittelpunkt.