Polen zur Einhaltung der EU-Regeln aufgefordert - Proteste erwartet

09.10.2021 12:09

Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts zum Status von EU-Recht
stößt auch bei vielen Bürgern im Land selbst auf Protest. Am
Wochenende sind in einigen Städten Demonstrationen geplant. Die Leute
seien «extrem mobilisiert», sagt eine polnische Politikerin.

Berlin/Paris (dpa) - Nach dem Urteil des polnischen
Verfassungsgerichts zum Status von EU-Recht haben Frankreich und
Deutschland Polen zur Einhaltung der EU-Regeln aufgefordert. Die
Mitgliedschaft zur EU gehe «mit der vollständigen und
uneingeschränkten Zugehörigkeit zu gemeinsamen Werten und Regeln»
einher, teilten die Außenminister Heiko Maas (SPD) und Jean-Yves Le
Drian mit. «Der Respekt und Einhaltung für diese muss von jedem
Mitgliedstaat erbracht werden, das gilt selbstverständlich auch für
Polen, das einen ganz zentralen Platz innerhalb der EU hat.» Am
Sonntag sind in Polen große Proteste gegen das umstrittene Urteil
geplant.

Der ehemalige EU-Ratspräsident und polnische Oppositionsführer Donald
Tusk schrieb auf Twitter: «Ich rufe alle, die ein europäisches Polen
verteidigen wollen, dazu auf, am Sonntag um 18.00 Uhr auf den
Schlossplatz in Warschau zu kommen. Nur gemeinsam können wir sie
stoppen.» Tusk ist kommissarischer Vorsitzender von Polens größter
Oppositionspartei, der liberalkonservativen Bürgerplattform.
Demonstrationen sind auch in Posen, Danzig, Krakau, Kattowitz und
Bialystok geplant.

Tusk sagte dem Radiosender Tok.fm am Samstag, er habe die Führung der
oppositionellen Linken und der Bauernpartei PSL sowie den ehemaligen
Präsidentschaftskandidaten Szymon Holownia von der Bewegung Polska
2050 ebenfalls um Unterstützung für die Proteste gebeten. Holownia
sagte dem Sender RMF FM, er sei «zutiefst beunruhigt» über das
Urteil. «Man muss sich mit denjenigen treffen, die finden, dass in
Polen in der vergangenen Woche etwas Schlimmes passiert ist.»

Die polnische Christdemokratin und EU-Abgeordnete Roza Thun äußerte
ebenfalls massive Kritik an der Regierung ihres Landes und dem Urteil
des Verfassungsgerichts. Was die polnische Regierung mache, falle auf
alle Polen zurück, auch jene, die aufgrund der Entscheidung extrem
besorgt und nicht damit einverstanden seien, sagte die EU-Abgeordnete
in den ARD-«Tagesthemen». Das Urteil des Verfassungsgerichts sei eine
politische Entscheidung und werde politische Folgen haben. «80
Prozent der Polen wollen in der EU bleiben und sind demokratisch
orientiert», betonte Thun. Am Wochenende seien in vielen Städten
Proteste geplant: «Die Leute sind extrem mobilisiert.»

Das polnische Verfassungsgerichts hatte am Donnerstag entschieden,
dass Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung
vereinbar seien. Dies stellt einen Eckpfeiler der europäischen
Rechtsgemeinschaft infrage. Die EU-Kommission will den Vorrang des
EU-Rechts vor nationalem Recht mit allen zur Verfügung stehenden
Mitteln durchsetzen.

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, forderte
finanzielle Konsequenzen für Polen. «Die polnische Regierung lässt
sich von ihrem politisch besetzten Verfassungsgericht bescheinigen,
dass sie sich künftig nicht mehr an europäisches Recht halten muss»,

sagte die SPD-Politikerin der «Welt» (Samstag). Die Europäische
Kommission dürfe der polnischen Regierungspartei PiS «diesen
Dammbruch nicht durchgehen lassen». «Sie darf keine europäischen
Corona-Milliarden nach Warschau geben und muss auch sonstige
Fördergelder sperren.»

Die Außenminister Maas (SPD) und Le Drian erklärten ihre
Unterstützung für die Europäische Kommission. Diese solle «als
Hüterin der Verträge die Einhaltung europäischen Rechts garantieren.


Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte, er sehe
mit Sorge einen Konflikt, der immer stärker werde und «bei dem ich
auch glaube, dass diejenigen, die in Brüssel agieren, nicht alles
richtig machen». Polen sei ein starkes Land und werde sehr in der EU
gebraucht. Es gelte, einen gemeinsamen Weg «aus dieser schweren Zeit»
zu finden. Man sei in dieser Frage mit Polen auf einer Seite, wenn
auch nicht immer einer Meinung.