«Korn-Krieg»: Wie EU-Länder auf drohende Nahrungskrisen reagieren

24.05.2022 18:21

Preise steigen, Hilfsorganisationen warnen vor Katastrophen: Die
Auswirkungen von Russlands Krieg gegen die Ukraine auf die
Agrarmärkte sind enorm. Die EU will gegensteuern und lockert
Umweltregeln. Auf eine Frage hat jedoch niemand eine Antwort.

Brüssel (dpa) - Im Kampf gegen steigende Lebensmittelpreise und
drohende Hungerkatastrophen plädiert die Bundesregierung dafür,
Umweltstandards zu lockern. Agrarminister Cem Özdemir warb bei einem
Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel für Ausnahmen künftiger
Vorgaben, die eine bestimmte Fruchtfolge vorsehen. Von der
EU-Kommission habe er schon vorsichtige Signale der Zustimmung
bekommen, sagte der Grünen-Politiker. Fruchtfolgen sollen im
Gegensatz zu Monokulturen Böden schonen oder weniger Pestizide nötig
machen.

Es sei eine schwierige Abwägung gewesen. Schließlich ergebe es Sinn,
Weizen nicht nach Weizen anzubauen, sagte Özdemir. Aber: «Wir haben
es hier mit einer Art Korn-Krieg zu tun, den Putin hier führt.»

Özdemir war vor allem von Christdemokraten dafür kritisiert worden,
angesichts des Ukraine-Kriegs Umweltstandards nicht stärker zu
lockern. Weil wegen des russischen Kriegs ukrainischer Weizen auf dem
Weltmarkt fehlt, sind Preise gestiegen. «Die Zeichen einer wachsenden
Ernährungskrise sind deutlich sichtbar», sagte
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie warf Russland
vor, bewusst Getreidelager in der Ukraine zu bombardieren und
ukrainische Schiffe mit Weizen und Sonnenblumenkernen zu blockieren.
In vielen ärmeren Ländern hängt auch die politische Stabilität star
k
von Lebensmittelpreisen ab.

Als Reaktion erlaubte die EU-Kommission bereits, von Umweltregeln
abzuweichen, was EU-Länder umgesetzt haben. Wie viel Zusatzernte man
sich erhofft, kann kein Land beantworten.

Frankreich

Im landwirtschaftlich besonders starken Frankreich können Bauern in
diesem Jahr sämtliche Brachflächen, außer denen zur Honigerzeugung,
zum Anbau nutzen. Wie das Agrarministerium in einem Erlass Ende März
festlegte, können dort Getreide, Eiweißpflanzen wie Acker- und
Futtererbsen sowie Ölsaaten wie Raps angebaut werden. In Deutschland
können diese Flächen nur für den Anbau von Futter genutzt werden. In

Frankreich machen Brachflächen rund ein Prozent der Agrarnutzfläche
und fast zwei Prozent der Ackerfläche aus.

Spanien

Spaniens Agrarminister Luis Planas hatte schon Anfang März betont,
Bauern müssten angesichts des Krieges in der Ukraine vorübergehend
nicht nur Brachflächen nutzen, sondern auch weitere Böden, die aus
ökologischen Gründen sonst nicht bestellt würden. Dort sollten vor
allem mehr Getreide und Ölsaaten angebaut werden. Zudem müsse die EU
die Einfuhr von Futter für Mastbetriebe sichern, ausdrücklich auch
mit Mais aus Südamerika.

Nach Angaben der Vereinigung mittlerer und kleinerer Bauern (UPA)
sind einige der Brachflächen aber von derart minderer Qualität, dass
eine Aussaat kaum lohnt. Eine Einschätzung, die auch deutsche
Agrarwissenschaftler mehr oder weniger teilen.

Österreich

Die Regierung hat die von der EU-Kommission geschaffenen
Möglichkeiten ausgeschöpft und 9000 Hektar Brachflächen für den Anb
au
freigegeben. Laut Agrarministerium sollen dort unter anderem
Getreide, Hirse, Mais, Rüben, Sonnenblumen und Tierfutter wachsen.
Der Effekt dürfte überschaubar bleiben: Im Alpenland gibt es 1,3
Millionen Hektar Äcker. Umweltorganisationen warnen, dass nun
wichtige Schutzgebiete für Pflanzen und Tiere verloren gehen. Die
Landwirtschaftskammer hält dagegen, dass viele Flächen von der
Freigabe nicht betroffen seien.

Irland

Auf der Insel gibt es mehrere Maßnahmen, die etwa mit Geldspritzen
Bauern dazu ermutigen sollen, mehr Getreide anzubauen. Förderfähig
sind Flächen, die 2021 nicht bewirtschaftet wurden. Pro Hektar sind
400 Euro vorgesehen. Ähnliches gelte für Eiweißpflanzen wie Erbsen
und Bohnen, so das Agrarministerium. Damit soll, etwa mit einer
Förderung von Futter wie Rotkleesilage, die Abhängigkeit von Importen
verringert werden.

Polen

Das polnische Landwirtschaftsministerium betont, dass es eine
individuelle Entscheidung sei, wie ein Landwirt von Ausnahmeregeln
Gebrauch mache. Es sei erlaubt, Brachflächen für den Anbau von
Nahrungs- und Futtermitteln zu nutzen.