EU-Kommission will russische Oligarchen einfacher enteignen Von Michel Winde, dpa

25.05.2022 16:04

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs werden immer wieder Jachten russischer
Oligarchen in der EU festgesetzt. Nach Ansicht der EU-Kommission
gelingt es den Milliardären aber zu oft, die Strafen zu umgehen. Die
Behörde will dies künftig empfindlich bestrafen.

Brüssel (dpa) - Luxusjachten, Villen, Privatjets: Russische
Oligarchen sollen nach dem Willen der EU-Kommission enteignet werden
können, wenn sie EU-Sanktionen unterlaufen. Dafür schlug die Behörde

am Mittwoch vor, das Umgehen von Sanktionen EU-weit als Straftat zu
definieren. Zudem sollen Regeln zur Vermögensabschöpfung und
Beschlagnahmung verschärft werden. Hinter den Forderungen der
Ukraine, Geld des russisches Staats für den Wiederaufbau zu nutzen,
dürften die Vorschläge jedoch zurückbleiben.

Seit Kriegsbeginn machen immer wieder spektakuläre Polizei-Aktionen
gegen russische Milliardäre aus dem Umfeld des Kreml Schlagzeilen -
der Begriff der Oligarchen für diese Superreichen wurde in den 90er
Jahren geprägt, als Geschäftsleute nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion zu großem Reichtum und Einfluss gelangten. Auf Mallorca
wurde etwa die 78 Meter lange Luxusjacht des russischen Oligarchen
Viktor Wekselberg festgesetzt. Und in der Toskana wurde die Megajacht
«Scheherazade» beschlagnahmt, die Ermittlern zufolge heimlich
Russlands Präsidenten Wladimir Putin gehören könnte.

Insgesamt haben die EU-Staaten seit Kriegsbeginn Vermögen russischer
Oligarchen im Wert von knapp 10 Milliarden Euro eingefroren. Doch
nach Ansicht der EU-Kommission gelingt es den Milliardären noch zu
oft, davonzukommen. Sie bringen ihre Jachten etwa in internationale
Gewässer oder übertragen Vermögen auf andere Eigentümer. Das liegt

auch daran, dass das Umgehen von Sanktionen nicht in allen EU-Staaten
strafbar ist. Grundsätzlich eine Straftat ist es EU-Justizkommissar
Dider Reynders zufolge in zwölf Ländern. In der Slowakei und in
Estland habe es dagegen nur zu Verwaltungsstrafen zur Folge.

Die EU-Kommission schlug deshalb vor, derlei Sanktionsumgehung in die
Liste der EU-Verbrechen aufzunehmen. Dies würde es ermöglichen,
Verstöße in allen EU-Staaten gleichermaßen zu verfolgen und
Mindeststrafen festzulegen. Mit Strafen müssten sowohl die Oligarchen
als auch ihre Helfer wie Banker oder Anwälte rechnen, wie Reynders
sagte. Dies würde jedoch nicht bedeuten, dass die gesamten bislang
eingefrorenen knapp 10 Milliarden Euro konfisziert werden könnten.

Seitdem Russland 2014 die Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert hat,
hat die EU mehr als 1000 Personen und 80 Organisationen auf die
Sanktionsliste gesetzt. Für die Personen bedeutet es unter anderem,
dass etwaige Vermögen in der EU eingefroren werden.

Doch es hapert zum Teil an der Umsetzung - auch in Deutschland. Aus
deutschen Rergierungskreisen hieß es Anfang Mai, die Gesetze seien
nicht aufs «Oligarchenjagen» ausgerichtet. Bis zur Sommerpause des
Bundestags sollten deshalb gesetzliche Änderungen beschlossen werden.

Helfen soll ein weiterer Vorschlag der EU-Kommission vom Mittwoch. Er
sieht vor, die Regeln zur Vermögensabschöpfung und Beschlagnahmung zu
überarbeiten. Dadurch soll etwa eine Enteignung von Vermögen möglich

werden, wenn es in Zusammenhang mit Sanktionsverstößen oder
versuchten Verstößen steht. Zudem soll der Vorschlag den Kampf gegen
organisierte Kriminalität grundsätzlich stärken. EU-Kommissionsvize
Margaritis Schinas zufolge werden jährlich 139 Milliarden Euro im
Jahr durch Straftaten eingenommen. Davon wiederum würden nur zwei
Prozent eingefroren und ein Prozent beschlagnahmt.

Nach dem Willen der EU-Kommission sollen nationale Behörden in
dringenden Fällen frühzeitig Vermögen einfrieren können, bevor es
etwa außer Landes geschafft werden kann - auch, wenn das
Strafverfahren noch läuft. Enteignungen sollen in bestimmten Fällen
auch möglich werden, wenn es keine Verurteilung gibt. Unerklärliche
Vermögen, die in Zusammenhang mit kriminellen Aktivitäten stehen,
sollen beschlagnahmt werden können. Und der Verkauf eingefrorener
Vermögenswerte durch den Staat soll einfacher werden. Die EU-Staaten
und das Europaparlament müssen über die Vorschläge noch verhandeln.


Reynders zufolge könnte das aus Beschlagnahmungen von Oligarchen
gewonnene Geld Opfern des russischen Kriegs in der Ukraine zugute
kommen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte noch am
Dienstag zur Finanzierung des Wiederaufbaus der Ukraine gesagt: «Wir
sollten dafür jeden Stein umdrehen - wenn möglich auch russische
Vermögenswerte, die wir eingefroren haben.» Damit reagierte sie auch
auf Forderungen der Ukraine, die eingefrorenen Vermögenswerte des
russischen Staates zu für den Wiederaufbau des Landes zu nutzen.

Die Vorschläge der EU-Kommission bleiben dahinter weit zurück. Zum
einen lassen sie das weitaus umfangreichere eingefrorene Vermögen des
russischen Staats unberücksichtigt. Zum anderen sollen nicht
grundsätzlich die eingefrorenen Vermögenswerte sanktionierter
Oligarchen beschlagnahmt werden. Dies soll nur dann geschehen, wenn
sie Sanktionen verletzen oder dies versucht haben.

Damit könnten womöglich die Bedenken der Bundesregierung ausgeräumt

sein. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte noch am Dienstag
gesagt, dass Deutschland zwar offen für eine Debatte darüber sei,
beschlagnahmtes russisches Vermögen für die Wiederaufbau der Ukraine
zu nutzen. Zugleich gab es zu bedenken, dass man zwischen Mitteln des
Staates - wie etwa der Zentralbank - und privaten Mitteln
unterscheiden müsse. «In unserer Verfassung gibt es Garantien für
Privatvermögen.»