Debatte um EZB-Straffungstempo wird intensiver

25.05.2022 16:30

Die Inflationsrate im Euroraum ist so hoch wie nie - wie
reagieren? Die EZB-Präsidentin stellte zuletzt ein Ende der negativen
Leitzinsen in Aussicht. Doch wie genau vorgegangen werden soll, dazu
gehen die Meinungen auseinander.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Debatte über die angemessene Reaktion auf
die hohe Inflation im Euroraum nimmt Fahrt auf. Am Mittwoch äußerten
sich gleich mehrere hochrangige Zentralbanker zu dem Thema. Dabei
zeigt sich, dass im geldpolitischen Rat der Europäischen Zentralbank
(EZB) bei weitem keine Einigkeit herrscht. Während einige
Währungshüter für ein beherztes Vorgehen eintreten, plädieren ander
e
für einen eher vorsichtigen Ansatz.

Die grundlegende Linie hatte zu Wochenbeginn EZB-Präsidentin
Christine Lagarde vorgegeben, indem sie bis zum Spätsommer ein Ende
der negativen Leitzinsen in Aussicht stellte. Da der Satz für
Bankeinlagen bei der EZB gegenwärtig minus 0,5 Prozent beträgt,
ergibt sich aus dem Vorschlag Lagardes ein eher gemächliches
Straffungstempo mit kleinen Zinsschritten um je 0,25 Prozentpunkten,
beginnend wohl ab Juli. Den anschließenden Kurs ab Herbst ließ die
Französin offen.

Dieses Vorgehen reicht einigen Notenbankern aber nicht aus. Am
deutlichsten wurden bisher die Notenbankchefs von Österreich, den
Niederlanden und Lettlands. Österreichs erster Währungshüter Robert
Holzmann hatte schon am Dienstag für einen großen Zinsschritt um 0,5
Prozentpunkte zum Start der geldpolitischen Wende im Juli votiert. Am
Mittwoch sagte der niederländische Notenbankchef, Klaas Knot, ein
solcher Schritt sei trotz der Vorgaben Lagardes «nicht vom Tisch».
Ähnlich positionierte sich der Notenbankpräsident Lettlands, Martins
Kazaks.

Gegenwind kommt jedoch von EZB-Vertretern, die eher einer lockeren
Geldpolitik zuneigen - wie EZB-Direktor Fabio Panetta. «Wie andere
große Zentralbanken stehen wir vor der Aufgabe, die Geldpolitik zu
einem alles andere als normalen Zeitpunkt zu normalisieren», sagte
Panetta am Mittwoch in Frankfurt. Die Notenbank sehe sich mit einer
beispiellosen Abfolge ökonomischer Schocks konfrontiert, sagte der
Italiener etwa mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. In dieser
schwierigen Situation sei eine graduelle Straffung zu empfehlen.

In die gleiche Richtung gingen Bemerkungen von Finnlands
Notenbankchef Olli Rehn, der ebenfalls für einen vorsichtigen Kurs
und eine kleine erste Zinsanhebung im Juli plädierte.
EZB-Vizepräsident Luis de Guindos gab sich unterdessen neutral. Er
unterstrich den grundsätzlichen Ansatz der EZB, die Geldpolitik an
der konjunkturellen Entwicklung auszurichten. «Lassen Sie uns
abwarten, was passiert», sagte der Spanier dem Nachrichtensender
Bloomberg TV.

Die EZB geht im internationalen Vergleich eher langsam gegen die seit
Monaten hohe Inflation vor. Im Euroraum war die Teuerung zuletzt auf
einen Rekordwert von 7,4 Prozent gestiegen. Ein wichtiger Grund sind
wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Welthandel,
die durch den Ukraine-Krieg verstärkt werden. Während andere
Notenbanken wie die US-Zentralbank Federal Reserve ihre Leitzinsen
schon mehrfach und teils deutlich angehoben haben, zögert die EZB
noch mit einer Zinsstraffung. Ihre konjunkturstützenden
Wertpapierkäufe hat sie aber bereits zurückgefahren.

Die EZB begründet ihren vorsichtigen Ansatz häufig damit, dass die
Situation im Euroraum nicht mit der Lage insbesondere in den USA
gleichzusetzen sei. So sei Europa stärker von den wirtschaftlichen
Auswirkungen des Ukraine-Kriegs betroffen. Auch seien die
Lohnanstiege und die von ihm ausgehenden Inflationsgefahren in den
USA wesentlich ausgeprägter als in der Eurozone. Kritiker monieren
dennoch, die EZB hinke anderen Zentralbanken wie der Federal Reserve
oder der Bank of England in der Inflationsbekämpfung hinterher.