Bundesbankpräsident erwartet mehrere EZB-Zinserhöhungen dieses Jahr

27.05.2022 13:12

Frankfurt/Main (dpa) - Angesichts der hohen Inflation stellt
Bundesbankpräsident Joachim Nagel gleich mehrere Leitzinserhöhungen
der EZB in diesem Jahr in Aussicht. «In unserer Juni-Sitzung müssen
wir ein deutliches Signal geben, wohin die Reise geht», sagte Nagel
im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin «Spiegel» laut einer
Vorabmeldung vom Freitag. «Aus meiner heutigen Sicht müssen wir dann
im Juli einen ersten Zinsschritt machen und weitere in der zweiten
Jahreshälfte folgen lassen.»

Am Montag hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde ein Ende der
Negativzinsen bis zum Ende des dritten Quartals in Aussicht gestellt.
Einen ersten Zinsschritt peilt sie für Juli an. An den Finanzmärkten
wurden die Aussagen als Hinweis auf eine erste Zinserhöhung um 0,25
Prozentpunkte gedeutet. Seitdem haben einige Mitglieder im EZB-Rat
gefordert, im Juli einen größeren Zinsschritt um 0,50 Prozent zu
machen. Dies scheint aber im EZB-Rat nicht mehrheitsfähig zu sein.
Eine Reihe von westlichen Notenbanken, darunter die US-Notenbank, hat
bereits eine Zinswende eingeleitet.

Von einem raschen Sinken der Inflationsrate, die in Deutschland wie
in der Eurozone zuletzt 7,4 Prozent betrug, geht der
Bundesbankpräsident nicht aus. «Die Inflation wird nicht über Nacht
sinken, das kann noch etwas dauern. Es kommt darauf an, dass die
längerfristigen Inflationserwartungen gut verankert sind», sagte er.

Für die deutsche Wirtschaft ist Nagel trotz der vielen Krisenherde
verhalten optimistisch. «Die deutsche Wirtschaft steht nicht so
schlecht da: Wir haben vor dem Krieg für 2022 mit mehr als vier
Prozent Wachstum gerechnet. Jetzt könnte sich das etwa halbieren. Mit
einem Wachstum von etwa zwei Prozent sieht es dann immer noch ganz
ordentlich aus.» Das Szenario einer Stagflation, also eine
vergleichsweise hohe Inflation bei gleichzeitig stagnierender
Wirtschaftsleistung, sieht er als derzeit als nicht wahrscheinlich
an: «Die Lage ist weiterhin robust», sagte Nagel dem Spiegel.