Startschuss auf Schloss: Tschechien übernimmt EU-Ratspräsidentschaft Von Michael Heitmann und Marek Majewsky, dpa

01.07.2022 18:03

Zum zweiten Mal seit dem Beitritt 2004 übernimmt Tschechien den
Vorsitz im EU-Rat. Die Kulisse auf einem Schloss ist trotz des Regens
idyllisch, doch die Herausforderungen sind groß: vom Krieg in der
Ukraine bis zur Sorge um die Energiesicherheit.

Litomysl (dpa) - Die Zeichen für die EU-Ratspräsidentschaft
Tschechiens stehen auf Sturm: Bei strömendem Regen empfing
Ministerpräsident Petr Fiala Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen und einen Großteil ihres Kollegiums am Freitag auf Schloss
Litomysl. Die Unesco-Welterbestätte liegt knapp 160 Kilometer östlich
von Prag. «Vor uns liegt keine leichte Aufgabe», sagte der
liberal-konservative Politiker.

Stürmisch geht es auch bei dem Thema zu, auf das Tschechien seinen
Fokus der nächsten sechs Monate legt: der Krieg gegen die Ukraine und
seine Folgen. An erster Stelle steht dabei die Verbesserung der
Energiesicherheit. Man werde in der EU zusammen einen
Energie-Notfallplan erarbeiten, kündigte von der Leyen an. Dieser
solle sicherstellen, dass Erdgas auch weiter «dorthin fließt, wo es
am meisten gebraucht wird», selbst wenn Russland den Hahn noch weiter
zudreht. Schon jetzt hat Moskau die Lieferungen an Deutschland und
andere EU-Staaten stark gedrosselt oder komplett gestoppt.

Bei strittigen Themen wie der Beurteilung der Rechtsstaatlichkeit in
Polen will Fiala die Rolle eines «neutralen Vermittlers» einnehmen -
auch wenn Tschechien mit Polen eng etwa in der Visegrad-Gruppe
zusammenarbeitet. Er begrüßte zudem den EU-Kandidatenstatus für die
Ukraine als eine «enorme Sache», will aber zugleich sicherstellen,
dass die Tore der EU auch für weitere Staaten offenbleiben. Die
Geschwindigkeit des Beitrittsprozesses liege in der Hand der
Kandidatenstaaten, betonte von der Leyen. In den vergangenen Wochen
war es unter anderem deswegen zu Unmut gekommen, weil die Ukraine in
Rekordzeit zum Beitrittskandidaten erklärt wurde, während vor allem
Balkan-Länder seit vielen Jahren auf einen Beitritt warten.

Tschechien möchte das Projekt einer neuen «europäischen politischen
Gemeinschaft» vorantreiben. Es wird damit gerechnet, dass ein erstes
Treffen der Plattform in Prag stattfinden könnte. Das Gremium soll
der Zusammenarbeit mit Staaten wie den Westbalkanländern dienen, die
nicht oder noch in der EU sind. Das Vorhaben geht auf eine Idee des
französischen Präsidenten Emmanuel Macron zurück.

Das Vorsitzland im Rat der EU organisiert die Sitzungen und hat die
wichtige Aufgabe, bei umstrittenen EU-Vorhaben zu vermitteln. Der
Vorsitz wechselt turnusmäßig alle sechs Monate. Auf dem Programm in
Litomysl standen neben den Beratungen auch ein abendliches «Konzert
für Europa». Rund 200 Polizisten waren vor Ort, um die Sicherheit der
Teilnehmer zu gewährleisten.

Das Renaissance-Schloss in Litomysl wurde im 16. Jahrhundert
errichtet und ist Austragungsort des renommierten Musikfestivals
«Smetanas Litomysl». Tschechien übernimmt den Staffelstab von
Frankreich. Das Motto lautet in Anlehnung an eine Rede des früheren
tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel (1936-2011) «Europa als
Aufgabe». Geplant sind zahlreiche Ministertreffen sowie mindestens
ein Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs in Prag.