Notfallplan für Gas: So will Europa sparen Von den dpa-Korrespondentinnen und Korrespondenten

09.08.2022 04:00

Seit diesem Dienstag gilt das EU-Ziel, den Gasverbrauch um 15 Prozent
zu senken. Doch eine Übersicht zeigt, dass nicht alle Länder es
konsequent umsetzen wollen.

Brüssel (dpa) - Kürzer duschen, weniger Beleuchtung, schwitzen im
Büro: Mit Maßnahmen wie diesen wollen die EU-Staaten in den kommenden
Monaten Gas sparen, um auf den Ernstfall vorbereitet zu sein - einen
möglichen Lieferstopp aus Russland. Doch ein Überblick der Deutschen
Presse-Agentur zeigt: Einige Länder haben bislang noch keine
Maßnahmen präsentiert, um den Gas-Notfallplan der EU umzusetzen.

Dieser ist am Dienstag in Kraft getreten und sieht vor, dass die 27
Staaten ihren Gaskonsum von Anfang August bis Ende März 2023
freiwillig um 15 Prozent reduzieren, verglichen mit dem
Durchschnittsverbrauch der vergangenen fünf Jahre. Sollte das nicht
reichen, können verbindliche Ziele in Kraft treten.

Das besonders von russischem Gas abhängige DEUTSCHLAND soll nach
Angaben des Wirtschafts- und Klimaschutzministeriums mehr als die
vereinbarten 15 Prozent schaffen. «Wir sehen hier für Deutschland
eine größere Einsparnotwendigkeit», hieß es. Um Gas zu sparen,
produziert seit Ende Juli ein zuletzt in Reserve gehaltenes
Steinkohle-Kraftwerk wieder Strom. Weitere sollen nach Vorstellungen
der Bundesregierung folgen, ebenso Braunkohlekraftwerke. Eine
staatliche Kampagne soll die Menschen zum Energiesparen motivieren.

Geplant sind zudem etwa Einsparungen in öffentlichen Gebäuden, in
denen nur sporadisch genutzte Bereiche wie Flure oder Foyers nicht
mehr geheizt werden sollen. Für Erdgasheizungen in Wohngebäuden soll
eine verpflichtende Überprüfung kommen, um zum Beispiel die
Temperatur beim Vorlauf oder nachts zu senken. Für Unternehmen soll
die Möglichkeit, ungenutzte Gasmengen in Auktionen zu verkaufen,
Anreize zum Energiesparen bieten.

Auch ÖSTERREICH setzt auf andere Brennstoffe. So soll das
stillgelegte Kohlekraftwerk Mellach im Bedarfsfall wieder in Betrieb
genommen werden. Außerdem sollen Großbetriebe und Kraftwerke ab
Herbst als Alternative zum Gas auch Erdöl einsetzen können, die
Kosten für die Umrüstung trägt der Staat. Zudem wird im Herbst eine
Kampagne zum Energiesparen gestartet. Die hohen Preise allein haben
nach Angaben des Energieministeriums bereits dafür gesorgt, dass im
ersten Halbjahr rund sieben Prozent weniger Gas als im
Vorjahreszeitraum verbraucht wurden.

In FRANKREICH sollen die öffentliche Verwaltung und die
Privatwirtschaft beim Energiesparen vorangehen. Dafür werden gezielte
Pläne für die Sektoren ausgearbeitet, unter anderem zur
Klimatisierung und zur Beleuchtung von Gebäuden. Behörden sind etwa
dazu angehalten, Geräte nicht auf Standby zu lassen, weniger zu
kühlen und zu heizen. Einige Supermärkte haben angekündigt, die Tür
en
konsequenter zu schließen, wenn die Klimaanlage läuft. Die Regierung
will das für alle Geschäfte im Zweifel auch mit Geldstrafen
durchsetzen. Gleichzeitig sollen die stark heruntergefahrenen
Atomkraftwerke so gut wie möglich für den Winter aufgestellt und die
Produktion von erneuerbarer Energie vorangetrieben werden.

Die NIEDERLANDE setzen vor allem auf Sparmaßnahmen der Bevölkerung
mit eine Werbekampagne: Bürger sollen kürzer duschen und die Heizung
mindestens ein Grad niedriger stellen. Vorgaben für die Industrie
werden jedoch nicht ausgeschlossen und sollen nach dem Sommer bekannt
gegeben werden. Das Land hat bereits seit Beginn der Energiekrise
monatlich rund 25 Prozent weniger Gas verbraucht im Vergleich zu den
Vorjahren. Auch in BELGIEN ist der Verbrauch im ersten Halbjahr
allein durch die hohen Preise zurückgegangen. Die Regierung hat die
Bürger zusätzlich zum Energiesparen aufgerufen.

In ITALIEN darf in den öffentlichen Büros nur noch bis auf 25 Grad
gekühlt werden, zudem wird die Temperatur beim Heizen von 20 auf 19
Grad abgesenkt. Es wird auch erwogen, die Heizperiode um zwei Wochen
zu verkürzen. Für die Industrie sind zunächst keine Einschränkungen

des Gasverbrauchs vorgesehen.

In GRIECHENLAND dürfen die Behörden Räume nicht mehr unter 26 Grad
kühlen, die Straßenbeleuchtung soll auf das absolut Notwendige
reduziert werden. Derzeit läuft zudem ein vom Staat und aus
EU-Mitteln finanziertes Programm, bei dem Bürger alte Klimaanlagen
und Kühlschränke durch neue, energiesparende Geräte ersetzen können
.
Zudem sollen manche Kohlekraftwerke wieder hochgefahren, andere
Kraftwerke von Gas- auf Erdölbetrieb umgeschaltet werden.

In SPANIEN dürfen alle öffentlichen Einrichtungen sowie Kaufhäuser,
Kinos, Arbeitsstätten, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen ihre
Räumlichkeiten künftig nur noch auf 27 Grad kühlen und auf höchsten
s
19 Grad heizen. Zudem müssen Läden und Betriebe mit automatischen
Systemen ihre Türen geschlossen halten. Die Beleuchtung nicht
genutzter Büros, von Schaufenstern und Denkmälern muss nach 22.00 Uhr
ausgeschaltet werden.

FINNLAND hat seinen Gasverbrauch in den vergangenen zehn Jahren nach
Regierungsangaben bereits halbiert und seit dem russischen Einmarsch
in die Ukraine weiter verringert - der Regierung zufolge gibt es
keinen unmittelbaren Bedarf für weitere Maßnahmen. Auch in DÄNEMARK
wurde das Energiesparziel bereits erreicht. In SCHWEDEN ermuntert die
schwedische Energiebehörde die Haushalte mit einem umfassenden
Online-Ratgeber zum Energiesparen.

Auch in ESTLAND ist der Verbrauch nach Angaben von Wirtschafts- und
Infrastrukturministerin Riina Sikkut bereits um 16 Prozent im
Vergleich zum fünfjährigen Durchschnitt gesunken. Dennoch sind
Wärmeversorger und die Industrie zum Gassparen und zum Umstieg auf
andere Kraftstoffe aufgerufen. In der kommenden Heizperiode könnte
zudem heimischer, aber klimaschädlicher Ölschiefer das Gas zum Teil
ersetzen.

LITAUEN muss nach Angaben von Vizeenergieminister Albinas
Zananavicius keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen. Grund dafür
seien neben einem preisbedingten Rückgang der Nachfrage auch
die Pläne der Hauptstadt Vilnius, Erdgas in der kommenden Heizperiode
durch Heizöl zu ersetzen. In LETTLAND arbeitet die Regierung noch an
Richtlinien, um die Energiesparmaßnahmen umzusetzen.

In POLEN sieht sich die nationalkonservative Regierung nicht an das
Einsparziel von 15 Prozent gebunden. Betont wird die Freiwilligkeit
der Regelung. In UNGARN schließt die rechte Regierung von
Regierungschef Viktor Orban eine Umsetzung des Ziels kategorisch aus.

TSCHECHIEN setzt weitgehend auf freiwillige Maßnahmen. So haben die
Verbraucher in Tschechien ihren Gasverbrauch wegen der hohen Preise
bereits zurückgefahren. Auch in SLOWENIEN gibt es noch keine
konkreten Pläne, eine Studie ist in Arbeit. Die Übergangsregierung in

BULGARIEN hat noch keine Maßnahmen zur Umsetzung des 15-Prozent-Ziels
formuliert.