Polens Regierungschef fordert EU-Reform - «Oligarchie»-Kritik

10.08.2022 11:22

Warschau/Berlin (dpa) - Der nationalkonservative polnische
Regierungschef Mateusz Morawiecki hat der EU «Imperialismus» im
Umgang mit schwächeren Mitgliedstaaten vorgeworfen und eine
tiefgreifende Reform gefordert. Die politische Praxis habe gezeigt,
dass die Positionen Deutschlands und Frankreichs mehr zählten als
alle anderen, schrieb Morawiecki in einem Gastbeitrag für die Zeitung
«Die Welt» am Mittwoch. «Wir haben es also mit einer formalen
Demokratie und einer faktischen Oligarchie zu tun, in der der
Stärkste die Macht innehat.»

Es gelte, «die Bedrohung durch den Imperialismus innerhalb der EU» zu
besiegen, so Morawiecki. Eine Reform solle «das Gemeinwohl und die
Gleichheit wieder an die Spitze der Grundsätze der Union» stellen.
Dies könne nur mit einem Perspektivwechsel gelingen. «Es sind die
Mitgliedstaaten und nicht die EU-Institutionen, die über die Richtung
und die Prioritäten des Handelns der EU entscheiden müssen.»

Die Grundlage der Zusammenarbeit müsse immer die Suche nach Konsens
sein, «nicht die Vorherrschaft der Stärksten», schrieb Morawiecki.
Der Prozess einer stärkeren europäischen Integration sei «per se
falsch».

Zuvor hatte sich Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der polnischen
Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in einem am Montag
veröffentlichten Interview dafür ausgesprochen, im Fall eines
Wahlsiegs bei der polnischen Parlamentswahl die Beziehungen zur EU
neu zu ordnen.

PiS-Generalsekretär Krzysztof Sobolewski hatte am gleichen Tag zu
starken deutschen Einfluss in der EU kritisiert. Polen werde alle
Möglichkeiten ausnutzen, etwa durch eine breite Anwendung des
Veto-Rechts. «Wir werden eine «Zahn um Zahn»-Taktik anwenden», sagt
e
er.

Ähnlich äußerte sich am Mittwoch PiS-Sprecher Radolsaw Fogiel in
einem Rundfunkinterview. Polen werde die Rechte, die ihm zustehen,
hart durchsetzen und darauf achten, dass die EU-Kommission sich nicht
in Bereiche begebe, die dem EU-Vertrag zufolge nicht in ihre
Kompetenz fielen. «Die Organisation der Justiz fällt von A bis Z in
die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten», betonte er.

Die umstrittene Justizreform in Polen belastet seit Jahren die
Beziehungen Polens zur EU. In einem vor wenigen Wochen
veröffentlichten Bericht sah die EU-Kommission deswegen den
Rechtsstaat in Polen in Gefahr.