EU droht nach möglicher Pipeline-Sabotage mit Sanktionen

28.09.2022 19:42

Was ist die Ursache für die Nord-Stream-Explosionen? An zeitgleiche
Unfälle glaubt kaum jemand. Die EU droht bereits mit Sanktionen -
aber gegen wen?

Brüssel/Bornholm (dpa) - Im Westen wächst die Überzeugung, dass die
Lecks an den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf einen Sabotageakt
zurückzuführen sind. Alles deute auf eine vorsätzliche Handlung hin,

erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen
der 27 Mitgliedstaaten. Zugleich drohte die EU den Verantwortlichen
mit Sanktionen. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von
Sabotage. Mit Schuldzuweisungen hielten sich westliche Politiker
jedoch zurück. Russland wies jede Verantwortung von sich.

In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der
nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall
festgestellt worden. Später meldete der Nord-Stream-1-Betreiber einen
Druckabfall auch in diesen beiden Röhren. Dänische Behörden
entdeckten schließlich insgesamt drei Lecks an den beiden Pipelines.
Mehrere Länder brachten bereits am Dienstag einen Anschlag auf die
europäische Gasinfrastruktur als Ursache für die als beispiellos
geltenden Schäden ins Spiel.

Ein Sprecher der Nord Stream 2 AG sprach am Mittwoch von einem
möglichen «Riesenriss». Ein Sprecher der Nord Stream AG sagte, es s
ei
«beispiellos», dass innerhalb kurzer Zeit derartige Schäden an
mehreren Leitungen eingetreten seien.

EU-Chefdiplomat Borrell betonte, man sei über die Schäden sehr
besorgt. «Diese Vorfälle sind kein Zufall und gehen uns alle an»,
erklärte der Spanier. «Alle verfügbaren Informationen deuten darauf
hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung
sind.» Man werde jede Untersuchung unterstützen, die Klarheit
schaffen solle. Zugleich machte er deutlich, dass jede vorsätzliche
Störung der europäischen Energieinfrastruktur inakzeptabel sei und
«mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet» werde.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen äußerte sich ähnlich.

Ein Sprecher der Bundesregierung sagte am Mittwoch, dass es «keine
natürliche Ursache für diesen Vorfall geben kann». Auf die Frage, ob

es sich um einen Anschlag handele, sagte Regierungssprecher Steffen
Hebestreit: «Ich würde das im Augenblick gar nicht beschreiben.»

Die Ukraine hatte bereits am Dienstag Russland für die Lecks
verantwortlich gemacht. So solle die Energiekrise in Europa
verschärft und Panik vor dem Winter ausgelöst werden.

Kremlsprecher Dmitri Peskow wies derlei Schuldzuweisung am Mittwoch
zurück. «Es ist ziemlich vorhersehbar und vorhersehbar dumm und
absurd, solche Annahmen zu treffen», sagte er nach Angaben der
Agentur Interfax. Die Schäden seien auch für Russland ein großes
Problem. Beide Stränge von Nord Stream 2 seien mit Gas gefüllt.
«Dieses Gas kostet viel Geld, und jetzt entweicht es in die Luft.»

Bevor irgendwelche Aussagen gemacht würden, müssten Untersuchungen an
den Lecks abgewartet und festgestellt werden, ob es sich um eine
Explosion oder nicht gehandelt habe, sagte Peskow. Zudem forderte er,
dass Russland an der Aufklärung der Vorfälle beteiligt werden solle.
Peskow selbst hatte Sabotage bereits am Dienstag nicht
ausgeschlossen.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft leitete wegen mutmaßlicher
Sabotage der Pipelines ein Verfahren wegen internationalen
Terrorismus ein. «Nicht später als am 26.09.2022 wurden im Bereich
der Insel Bornholm vorsätzliche Handlungen zur Beschädigung der auf
dem Ostseeboden verlegten Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream
2 verübt», teilte die russische Generalstaatsanwaltschaft am Mittwoch
auf ihrem Telegram-Kanal mit. Moskau begründete den Schritt damit,
dass mit der Beschädigung der Pipelines «Russland erheblicher
wirtschaftlicher Schaden zugefügt» worden sei. Moskauf forderte wegen
der Lecks zudem eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats.

Wann die Lecks untersucht werden können, war unklar. Da so viel Gas
in den Leitungen sei, könne es eine oder zwei Wochen dauern, bis
ausreichend Ruhe in dem Gebiet eingekehrt sei, um die Lecks in etwa
80 Metern Tiefe untersuchen zu können, sagte der dänische
Verteidigungsminister Morten Bødskov in Brüssel. Später erklärte di
e
dänische Energiebehörde allerdings, dass bereits mehr als die Hälfte

des Gases aus den betroffenen Leitungen entwichen
sei. Voraussichtlich am Sonntag sollen die Leitungen demnach leer
sein, wie Behördenchef Kristoffer Böttzauw sagte.

Der Betreiber der Pipeline Nord Stream 1 schloss eine Reparatur des
beschädigten Doppelstrangs grundsätzlich nicht aus. Zurzeit sei
allerdings gar nichts auszuschließen, sagte ein Sprecher der Nord
Stream AG der Deutschen Presse-Agentur. Für eine genaue Beurteilung
müssten zunächst die Schäden begutachtet werden. Es gebe Erfahrungen

und Anbieter für mögliche Arbeiten. Man wolle die Schäden so schnell

wie möglich inspizieren, das setze aber voraus, dass die Behörden die
verhängten Sperrzonen aufhöben.

Auch der Nord Stream 2 AG sind die genauen Schäden an ihrer
weitgehend parallel verlaufenden Pipeline nach eigenen Angaben noch
unbekannt. Es könne «kein Mensch momentan seriös sagen, wie es da
unten aussieht» und welche technischen Möglichkeiten es nun gebe,
sagte Sprecher Ulrich Lissek.

Die Lecks befinden sich nach Angaben des dänischen Ministers Bødskov
in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen
Dänemarks und Schwedens. Beide Länder hatten nach der Entdeckung
Sicherheitszonen für die Schifffahrt errichtet. Schiffe dürfen das
Gebiet um die Lecks in einem Radius von fünf Seemeilen (knapp 9,3
Kilometer) nicht passieren.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg schrieb am Mittwoch auf Twitter, in
einem Gespräch mit dem Bødskov sei es um «die Sabotage» der Pipelin
es
gegangen. Zudem hätten sie über den Schutz der kritischen
Infrastruktur in den Nato-Staaten gesprochen. Auch Borrell erklärte,
man werde Schritte unternehmen, um die Energiesicherheit robuster zu
machen. Bødskov selbst betonte, dass es sich nicht um kritische
Infrastruktur seines Landes handle.

Das Bundesinnenministerium erklärte zur Sicherung der Infrastruktur
in Deutschland, die Maßnahmen würden immer an die Lage angepasst,
auch vor dem Hintergrund der aktuellen Lage. Eine «abstrakte
Gefährdungslage» für die kritische Infrastruktur sei immer
anzunehmen, nicht nur nach dem aktuellen Vorfall.

Das Umweltbundesamt ist nach den Lecks besorgt über freitretendes
Methan. Nach Berechnungen der Behörde führen die Schäden zu etwa 7,5

Millionen Tonnen an sogenannten CO2-Äquivalenten. Das entspreche etwa
einem Prozent der deutschen Jahres-Gesamtemissionen, teilte die
Behörde am Mittwoch mit. Die Berechnung stütze sich auf geschätzte
Informationen zu Füllzustand und Volumen der beiden Pipelines. Zur
besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in
CO2-Äquivalente umgerechnet. Maßstab ist ihr jeweiliger Beitrag zur
Erderwärmung im Vergleich zu Kohlendioxid.