Strompreis: Wie die Abschöpfung der Übergewinne aussehen könnte Von Laura Dubois, dpa

30.09.2022 04:00

Es dürften drastische Maßnahmen sein, die die EU am Freitag zur
Entlastung der Verbraucher beschließt. Übermäßige Krisengewinne von

Energiefirmen könnten bald abgeschöpft werden. Experten sind jedoch
skeptisch, wie schnell das helfen kann.

Brüssel (dpa) - Was tun gegen die gestiegenen Energiepreise? Seit
Wochen ringt die EU in dieser Frage um eine Lösung. Ein weiteres
Krisentreffen der Energieminister soll am Freitag die Lösung bringen:
Der Beschluss würde Energieunternehmen dazu zwingen, einen Teil ihrer
Krisengewinne an den Staat abzugeben. Wie das in der Praxis aussehen
könnte, ist unklar. Auch wie schnell Verbraucher davon profitieren
könnten und ob die Maßnahmen ausreichen, ist nach Ansicht von
Experten ungewiss.

Warum sind die Strompreise so hoch?

Der Gaspreis ist vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark
gestiegen. Dadurch ist auch Strom teurer geworden. Grund dafür ist,
dass der Strompreis durch das teuerste Kraftwerk bestimmt wird, das
zur Produktion eingeschaltet wird - derzeit sind das vor allem
Gaskraftwerke. Auch Produzenten von billigerem Strom aus Sonne, Wind,
Atomkraft oder Braunkohle können diesen zu hohen Preisen verkaufen.

Wie soll der Strompreis gesenkt werden?

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Einnahmen der Produzenten
von billigerem Strom zum Teil abzuschöpfen und Verbraucher mit dem
Geld zu entlasten. Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben. Sie
selbst will Verbraucher und Unternehmen mit einem neuen
«Abwehrschirm» von bis zu 200 Milliarden Euro und einer
Gaspreisbremse schützen. Details müssen noch ausgearbeitet werden.

Die EU-Pläne sehen konkret vor, dass die Einnahmen der Firmen bis
Ende März 2023 bei 180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt werden - was
darüber hinausgeht, soll an den Staat gehen. Im deutschen Großhandel
waren zuletzt ungefähr 315 Euro fällig.

Allerdings wollen die EU-Staaten mehr Flexibilität als von der
Kommission vorgeschlagen, wie aus einem Entwurf aus den Verhandlungen
hervorgeht, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Demnach
könnten die Staaten niedrigere Einnahmengrenzen für bestimmte
Technologien einführen - oder eine höhere, falls die Kosten der
Produzenten die Grenze von 180 Euro übersteigen würden. So könnte es

anstelle einer einheitlichen Lösung unterschiedliche Deckel für
Produzenten von Strom aus Sonne oder Braunkohle geben. Außerdem
könnten die Länder entscheiden, nur 90 Prozent der überschüssigen
Einnahmen abzuschöpfen.

Was ist mit anderen fossilen Energie-Unternehmen?

Gas-, Kohle- und Ölkonzerne oder Raffinieren, die nicht von der
Obergrenze betroffen wären, sollen über eine Krisenabgabe einen Teil
ihrer Gewinne abgeben. Die Konzerne müssten dem Entwurf der Staaten
zufolge ein Drittel jener Gewinne abführen, die den
Durchschnittsgewinn der vergangenen vier Jahre um mehr als 20 Prozent
übersteigen. Über diese Abgabe sollen ebenfalls Verbraucher und
Unternehmen entlastet werden.

Wie schnell könnte all das umgesetzt werden?

Experten zufolge sind mit Blick auf die Gewinnabschöpfung noch viele
Fragen offen. Georg Zachmann vom Brüsseler Bruegel-Institut sagt,
dass man in Deutschland wohl die Infrastruktur des
Erneuerbaren-Energien-Gesetzes nutzen könne. «Damit ist das
administrativ wohl relativ einfach.»

Es bleibe aber das Problem, dass Strom teilweise schon Jahre im
Voraus zu anderen Preisen gekauft werde. Derlei Transaktionen müssten
ausgenommen werden, sagt Zachmann. Auch nach Ansicht von Lion Hirth
von der Hertie School in Berlin ist das nicht einfach. Eine
Megawattstunde Strom werde auf den Terminmärkten teils etliche Male
gehandelt.

Markteingriffe auf dem Großhandel seien extrem kompliziert, sagt
Hirth. «Und es besteht die reale Gefahr, dass da etwa ein Instrument,
was im Prinzip funktionieren kann und dem Ansatz nach auch möglich
ist, wegen einer der vielen Schwierigkeiten bei der Implementierung
am Ende mehr Schaden anrichtet als Gutes tut.»

Wann würden Bürger von den Entlastungen etwas spüren?

«Ich bin eher pessimistisch, dass es dieses Jahr noch klappt, aber
optimistisch, dass es diesen Winter noch klappen kann, wenn alle an
einem Strick ziehen», sagt Hirth. Das hänge auch davon ab, ob der
Staat bereit sei, Entlastungen vorzufinanzieren, bevor das Geld
eingesammelt wird. «Das ist ja auch ein wichtiger Hebel der
Beschleunigung», sagt Hirth. Dafür brauche man aber Flexibilität im
staatlichen Haushalt. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat
immer wieder betont, er wolle an der Schuldenbremse festhalten. Sie
erlaubt dem Bund nur in geringem Maße, neue Kredite aufzunehmen.

Grundsätzlich befürchten die Ökonomen, dass die Maßnahmen nicht
ausreichen werden. «Da bin ich relativ überzeugt davon, dass das das
Problem nicht in seiner Gänze lösen wird und dass dann auch die
Diskussionen nicht zu Ende sein werden», sagt Zachmann.

Was kann noch helfen?

Vorgesehen sind auch verpflichtende Stromsparziele für Zeiten, in
denen die Nachfrage besonders hoch ist. In Spitzenzeiten kostet Strom
besonders viel, da dann teures Gas zur Produktion genutzt werden
muss. Die Staaten wollen sich allerdings mehr Freiraum dabei
einräumen, wie man diese Spitzenstunden identifiziert. Insgesamt
sollten die Länder ihren Stromverbrauch um zehn Prozent senken.

Kommt auch ein europäischer Gaspreisdeckel?

Mehr als die Hälfte der EU-Staaten hat einen Gaspreisdeckel
gefordert. Die EU-Kommission hat daher in einem Diskussionspapier
Vorschläge dafür unterbreitet, über die beim Sondertreffen diskutiert

werden soll - unter anderem einen Maximalpreis für russisches Gas.
Eine weitere Option wäre, den Preis von Gas in der Stromproduktion zu
deckeln, um auch den Preis von Strom zu senken. Ähnliches haben
Spanien und Portugal bereits eingeführt.

Unter anderem Deutschland lehnt einen EU-weiten Gaspreisdeckel ab.
Berlin und andere Regierungen befürchten, dass Lieferanten bei einem
gesetzten Maximalpreis weniger oder gar kein Gas mehr an die EU
liefern würden.