Energie-Gewinnabschöpfung: So könnten Verbraucher profitieren Von Laura Dubois und Helge Toben, dpa

03.10.2022 10:43

Was tut die Europäische Union gegen die hohen Strompreise? Nach
Wochen der Diskussion haben sich die EU-Länder auf einen Kompromiss
geeinigt. Die Bundesregierung hat schon Pläne für die Umsetzung.

Brüssel/Berlin (dpa) - Was tun gegen die gestiegenen Energiepreise?
Seit Wochen ringt die EU in dieser Frage um eine Lösung. Bei einem
weiteren Krisentreffen einigen sich die Energieminister endlich: Der
Beschluss zwingt Energieunternehmen künftig dazu, einen Teil ihrer
Krisengewinne an den Staat abzugeben. Damit sollen Bürgerinnen und
Bürger entlastet werden. Deutschland hat schon geplant, wofür das
Geld ausgegeben werden soll. Bei der konkreten Umsetzung dieser und
anderer Entlastungsvorhaben sind allerdings noch Fragen offen. Es
gibt erste Hinweise, wie Verbraucher profitieren könnten.

Warum sind die Strompreise so hoch?

Der Gaspreis ist vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark
gestiegen. Dadurch ist auch Strom teurer geworden. Grund dafür ist,
dass der Strompreis durch das teuerste Kraftwerk bestimmt wird, das
zur Produktion eingeschaltet wird - derzeit sind das vor allem
Gaskraftwerke. Auch Produzenten von billigerem Strom aus Sonne, Wind,
Atomkraft oder Braunkohle können diesen zu hohen Preisen verkaufen.

Wie soll der Strompreis gesenkt werden?

Die EU-Staaten haben sich darauf verständigt, die Einnahmen der
Produzenten von billigerem Strom zum Teil abzuschöpfen und
Verbraucher mit dem Geld zu entlasten. Konkret sollen die Einnahmen
der Firmen bis Ende Juni 2023 bei 180 Euro pro Megawattstunde
gedeckelt werden - was darüber hinausgeht, soll an den Staat gehen.
Im deutschen Großhandel waren zuletzt ungefähr 315 Euro fällig.

Allerdings wollen die EU-Staaten mehr Flexibilität als von der
Kommission vorgeschlagen. So könnten die Staaten teils niedrigere
oder höhere Einnahmengrenzen einführen als die 180 Euro, je nach
Technologie und den jeweiligen Kosten. Es könnte anstelle einer
einheitlichen Lösung also unterschiedliche Deckel für Produzenten von
Strom etwa aus Sonne oder Braunkohle geben.

Was ist mit anderen fossilen Energie-Unternehmen?

Gas-, Kohle- und Ölkonzerne oder Raffinieren, die nicht von der
Obergrenze betroffen wären, sollen über eine Krisenabgabe einen Teil
ihrer Gewinne abgeben. Die Konzerne müssten ein Drittel jener Gewinne
abführen, die den Durchschnittsgewinn der vergangenen vier Jahre um
mehr als 20 Prozent übersteigen. Das soll entweder für dieses Jahr,
kommendes Jahr oder beide gelten. Über diese Abgabe sollen ebenfalls
Verbraucher und Unternehmen entlastet werden.

Wie wird das in Deutschland umgesetzt?

Die Bundesregierung unterstützt die Gewinnabschöpfung und plant,
damit eine «Strompreisbremse» zu finanzieren. Dabei soll der
Strompreis für einen sogenannten Basisverbrauch gedeckelt werden. Wer
mehr verbraucht, muss den aktuellen Marktpreis zahlen. Details sind
aber noch offen. Diese Maßnahme würde es zusätzlich zu den Maßnahme
n
aus dem bis zu 200 Milliarden Euro großen «Abwehrschirm» zur
Entlastung von Haushalten und Unternehmen geben, der am Donnerstag in
Berlin verkündet wurde. Wie viel Geld durch die Gewinnabschöpfung
generiert werden kann, war jedoch zunächst unklar.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Freitag
jedenfalls, Deutschland werde die Maßnahmen schnell umsetzen.

Soll es auch bei Erdgas eine «Bremse» geben?

Ja. Das hat die Bundesregierung am Donnerstag beschlossen. Die
«Gaspreisbremse» ist ein wichtiger Bestandteil des «Abwehrschirms»

zur Entlastung von Haushalten und Unternehmen. Ähnlich wie bei der
Strompreisbremse sollen auch bei Gas mindestens für einen Teil des
Verbrauchs die Gaspreise auf ein Niveau gebracht werden, damit
private Haushalte und Unternehmen nicht überfordert sind. Was das
genau bedeutet, ist aber noch völlig offen. Eine Kommission soll bis
Mitte Oktober Vorschläge machen. Der Bundesregierung ist wichtig,
dass trotzdem ein Anreiz zum Gassparen bleibt.

Die Gasumlage ist weg, bleibt es bei der Mehrwertsteuersenkung für
Gas ab Oktober?

Ja. Der Bundestag hat am Freitag beschlossen, dass der Steuersatz für
Erdgas und Fernwärme wegen der Energiekrise ab Oktober vorübergehend
von 19 auf 7 Prozent gesenkt wird. Das soll bis Ende März 2024
gelten. Die Energiewirtschaft versprach, die Steuerentlastung an die
Kunden weiterzugeben. Zwar sei der Beschluss sehr kurzfristig und die
Fernwärme nachträglich aufgenommen worden. Fest stehe aber: «Die
Mehrwertsteuersenkung wird 1:1 bei den Kundinnen und Kunden
ankommen», erklärte der Bundesverband der Energie- und
Wasserwirtschaft.

Was bringt die Mehrwertsteuersenkung?

Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas bedeutet nach Berechnungen des
Vergleichsportals Verivox für eine Musterfamilie mit einem
Gasverbrauch von 20 000 Kilowattstunden im Jahr eine jährliche
Entlastung von 366 Euro. Das Vergleichsportal Check24 kommt wegen
anderer Berechnungsgrundlagen bei diesem Verbrauch auf eine
Entlastung von 306 Euro jährlich.

Wie vielen Haushalten kommt die Mehrwertsteuersenkung zu Gute?

Von den gut 43 Millionen Wohnungen in Deutschland wird knapp die
Hälfte mit Gas beheizt. Rund 14 Prozent der Haushalte nutzen
Fernwärme. Insgesamt nimmt der Staat nach Rechnung des
Finanzministeriums durch die Steuersenkung bis 2024 rund 13
Milliarden Euro weniger ein.

Weniger Mehrwertsteuer, doch keine Gasumlage: Was ist mit den
Abschlägen?

Die Gasumlage ist vom Tisch, muss also auch nicht gezahlt werden. Wer
sie schon gezahlt hat - etwa in einem Abschlag - muss sie
zurückgezahlt bekommen, sagte Habeck am Donnerstag. Die
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geht daher davon aus, dass in
jüngst versandten Preiserhöhungsschreiben der Versorgungsunternehmen
der monatliche Abschlag allein schon wegen der nun wegfallenden
Gasumlage zu hoch ist. Hinzu kommt jetzt noch die Entlastung durch
die Mehrwertsteuersenkung.

Was raten die Verbraucherschützer?

Zunächst sollen Verbraucherinnen und Verbraucher den Zählerstand
notieren und dann einige Tage abwarten. «Die Gasumlage ist bisher nur
auf einer Pressekonferenz der Bundesregierung am 29. September
gekippt worden. Bis die Versorger das umsetzen können, kann es
dauern», hieß es. Sollte sich der Versorger oder der Vermieter bis
Mitte Oktober nicht melden, sollen die Kunden Kontakt aufnehmen und
eine Anpassung der monatlichen Abschläge fordern. «Sonst zahlen Sie
zu viel fürs Gas und gehen ein unnötiges Risiko ein, sollte der
Versorger in Schwierigkeiten geraten.»

Was kann noch helfen?

In Brüssel einigten sich die Staaten auch darauf, schlicht weniger
Strom zu verbrauchen. Vorgesehen ist, dass in Zeiten der besonders
hohen Nachfragen fünf Prozent weniger verbraucht wird - das ist
verpflichtend. Dann kostet Strom besonders viel, da teures Gas zur
Produktion genutzt werden muss. Insgesamt sollten die Länder ihren
Stromverbrauch um zehn Prozent senken. Wie sie das machen, steht
ihnen offen. In Deutschland gibt es dafür noch keine konkreten
Maßnahmen auf Bundesebene.