Energiefirmen müssen für Entlastung der Bürger zahlen

30.09.2022 17:41

Es wird kälter, die Heizkosten steigen. Seit Wochen sucht die EU nach
Lösungen in der Energiekrise. Jetzt haben sich die Staaten auf
Maßnahmen geeinigt. Doch vielen geht das nicht weit genug.

Brüssel (dpa) - Energiefirmen in der EU werden angesichts der
gestiegenen Preise zur Kasse gebeten, um Haushalte zu entlasten. Die
EU-Energieminister billigten am Freitag ein Notfallpaket. Darin
werden einerseits verbindliche Ziele fürs Stromsparen vereinbart.
Andererseits wird festgelegt, dass viele Stromproduzenten sowie Öl-
und Gaskonzerne einen Teil ihrer Krisengewinne an den Staat zahlen
müssen. Mit diesem Geld sollen Verbraucher und Unternehmen entlastet
werden. Deutschland stand wegen seiner Ablehnung eines europäischen
Höchstpreises für Gas in der Kritik.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor
Versorgungsengpässen, falls ein EU-weiter Gaspreisdeckel eingeführt
werden sollte. «Deswegen brauchen wir eine andere Lösung, eine
bessere Lösung.» Damit stellte sich Deutschland etwa zusammen mit den
Niederlanden gegen die Mehrheit der EU-Staaten, die einen allgemeinen
Maximalpreis für Gas fordern, sowohl im Großhandel als auch für
Importe. Unter ihnen sind Italien, Frankreich, Spanien oder Belgien.
In Italien wird etwa kritisiert, dass manche Länder nicht das Geld
hätten, um große nationale Entlastungspakete zu schnüren. Daher
brauche man eine europäische Lösung.

Auch der tschechische Industrieminister Jozef Síkela, der den Vorsitz
im Ministerrat hat, sagte, nach den Beschlüssen vom Freitag müssten
weitere folgen. «Das ist nur der erste Teil des Puzzles.» Die Staaten
hätten die EU-Kommission aufgefordert, Vorschläge für weitere
Maßnahmen vorzulegen. Auch EU-Energiekommissarin Kadri Simson sagte,
ein Markteingriff auf EU-Ebene sei notwendig, um die Preise für die
Kunden zu senken. Sie warnte aber vor drastischen Eingriffen wie
einem Preislimit im europäischen Großhandel. «Das würde sich
eindeutig auf die Preise auswirken, aber auch den EU-Gasmarkt
praktisch aussetzen und hätte erhebliche Risiken für die
Versorgungssicherheit.»

Nun soll über verschiedene Optionen diskutiert werden. Die
EU-Kommission wird voraussichtlich noch vor dem Gipfel der Staats-
und Regierungschefs in der kommenden Woche konkretere Vorschläge
machen.

Die zur Gewinnabschöpfung beschlossenen Maßnahmen fanden hingegen
breiten Zuspruch. «Wir werden sie in Deutschland schnell umsetzen»,
sagte Habeck. Die Bundesregierung will mit dem eingesammelten Geld
den Bürgern Strom teils billiger zur Verfügung stellen - zusätzlich
zu dem Entlastungspaket mit einem Volumen bis zu 200 Milliarden Euro,
das am Donnerstag verkündet worden war. Wie viel Geld durch die
Gewinnabschöpfung in Deutschland zusammenkommt, ist noch unklar. Die
EU-Kommission ging zuletzt durch die Maßnahmen für die gesamte Union
von 140 Milliarden Euro aus.

Da der Gaspreis vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark
gestiegen ist, ist auch Strom teurer geworden. Denn der Strompreis
wird durch das teuerste Kraftwerk bestimmt, das zur Produktion
eingeschaltet wird - derzeit sind das vor allem Gaskraftwerke. Auch
Produzenten von billigerem Strom - etwa aus Sonne, Wind, Atomkraft
oder Braunkohle - können diesen zu hohen Preisen verkaufen.

Die Einnahmen dieser Unternehmen werden nun bis Ende Juni 2023 bei
180 Euro pro Megawattstunde gedeckelt. Allerdings haben die Staaten
in der Umsetzung des Deckels mehr Flexibilität als ursprünglich
vorgesehen. So können sie bei Bedarf eine niedrigere Einnahmengrenze
für bestimmte Technologien einführen - oder eine höhere, falls die
Kosten der Produzenten die Grenze von 180 Euro übersteigen. So könnte
es unterschiedliche Deckel etwa für Produzenten von Strom aus Sonne
oder Braunkohle geben.

Zudem werden die Maßnahmen nicht nur die Produzenten von billigem
Strom aus erneuerbaren und anderen Quellen, sondern auch Öl-, Kohle-
und Gasunternehmen sowie Raffinerien treffen. Sie sollen eine
Solidaritätsabgabe von 33 Prozent auf Gewinne zahlen, die 20 Prozent
über dem Durchschnitt der vergangenen vier Jahre lagen. Das kann sich
entweder auf Profite dieses oder des kommenden Jahres oder beider
Jahre beziehen. Mit dem Geld sollen ebenfalls Entlastungen für Bürger
und Unternehmen finanziert werden.

Die Minister billigten zudem ein verpflichtendes Stromsparziel von
fünf Prozent in Zeiten hoher Nachfrage. Dann kostet Strom besonders
viel, da Gas zur Produktion genutzt werden muss. Die Staaten räumten
sich allerdings auch hier mehr Freiraum dabei ein, diese
Spitzenstunden zu bestimmen. Insgesamt sollen die EU-Länder ihren
Stromverbrauch freiwillig um zehn Prozent senken.

Die Einigung vom Freitag muss noch formell gebilligt werden. Das wird
in der kommenden Woche erwartet. Dann können die Maßnahmen im
Dezember in Kraft treten.