) Streit um Rechtsstaat: Ungarn blockiert Milliardenhilfe für Ukraine

06.12.2022 18:06

Im Streit um das Einfrieren von Milliarden aus dem EU-Haushalt
bekommt Ungarn eine kleine zweite Chance. Bis das Problem nicht
gelöst ist, blockiert Budapest jedoch andere wichtige EU-Vorhaben.

Brüssel (dpa) - Wegen des Streits um das mögliche Einfrieren von
EU-Milliarden für Ungarn blockiert das Land umfangreiche Finanzhilfen
für die vom Krieg gebeutelte Ukraine. «Es ist bedauerlich, dass wir
heute keine Entscheidung getroffen haben über die unverzichtbare
finanzielle Hilfe für die Ukraine», sagte Bundesfinanzminister
Christian Lindner (FDP) nach einem Treffen mit seinen EU-Kollegen am
Dienstag in Brüssel. «Das verantwortet Ungarn.»

Die EU-Kommission hatte vergangene Woche empfohlen, Corona-Hilfen und
andere Fördermittel für Ungarn erst dann freizugeben, wenn die
rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban
Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umsetzt.
Insgesamt geht es um etwa 13,3 Milliarden Euro.

Vor diesem Hintergrund hat Ungarn die Entscheidung über die
Ukraine-Hilfen, die einstimmig getroffen werden muss, blockiert. Auch
die internationale Mindeststeuer, auf die sich die EU-Staaten
zusammen mit rund 130 anderen Ländern eigentlich schon geeinigt
hatten, wurde wegen des ungarischen Widerstands von der Tagesordnung
genommen. «Die Annahme des Pakets hängt nun von der Entwicklung der
Maßnahmen ab, die Ungarn zum Schutz des EU-Budgets unternimmt», sagte
der tschechische Finanzminister Zbynek Stanjura, der die Gespräche
leitete. Zur Not soll nach einer Lösung gesucht werden, um der
Ukraine auch ohne Ungarn das Geld bereitzustellen. Der ursprüngliche
Vorschlag der EU-Kommission sieht Hilfen in Höhe von 18 Milliarden
Euro vor.

Kanzler Scholz sagte am Dienstag am Rande eines EU-Westbalkan-Gipfels
in Tirana: «Ich wünsche mir, dass alle 27 Mitgliedsländer der
Europäischen Union den Vorschlag unterstützen, das ist wichtig für
die Ukraine.» Er sei zuversichtlich, dass dies gelingen werde.

Denn es gibt jedoch einen Weg, der die verfahrene Situation auflösen
könnte: Die EU-Kommission soll Ungarns Maßnahmen gegen Korruption nun
ein zweites Mal bewerten, bevor die EU-Staaten ihre Entscheidung über
das Einfrieren der Milliarden treffen. Schon Ende der Woche soll der
Bericht vorliegen. Stanjura hofft, dass ein Kompromiss über die
verschiedenen Maßnahmen in «ein paar Tagen» gefunden werden kann.
Dann könnten die Finanzminister alle Maßnahmen spätestens bis Ende
des Jahres beschließen.

Lindner erklärte, dass es in der ungarischen Politik noch
Entwicklungen gegeben habe, nachdem die Kommission ihren ersten
Bericht vorgelegt habe. Dieser umfasste nur Maßnahmen bis zum 19.
November. Lindner warnte jedoch auch: «Es darf nicht so lange geprüft
werden, bis das gewünschte Ergebnis erzielt wird.» Auch Scholz sagte,
dass nicht übersehen werden dürfe, wenn jetzt noch Entscheidungen in
Ungarn getroffen würden. «Wir müssen für unsere Entscheidung
vollständige Grundlagen haben.» Was dann als Bewertung herauskomme,
werde man dann sehen.

Die EU-Kommission wirft Ungarn seit Jahren vor, EU-Standards und
Grundwerte zu untergraben. Bei den Vorschlägen der Kommission geht es
um rund 7,5 Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt, die
eingefroren werden sollen. Zudem sollen Corona-Hilfen über 5,8
Milliarden Euro nur dann ausgezahlt werden, wenn Budapest bestimmte
Meilensteine im Bereich Rechtsstaatlichkeit erreicht hat. Beiden
Empfehlungen müssen die EU-Staaten zustimmen.

Die Kommission befand zuletzt, dass Ungarn zwar eine Reihe von
Reformen durchgeführt habe, aber zentrale Aspekte nicht angemessen
umgesetzt worden seien. Es seien noch wesentliche Schritte
erforderlich, um verbleibende Risiken für den EU-Haushalt in Ungarn
zu beseitigen. Konkret wird etwa befürchtet, dass wegen Korruption
EU-Mittel nicht zu vorgesehenen Zwecken eingesetzt werden.