EU beendet zweijährige Krise - Bis 2009 Reform-Vertrag in Kraft

19.10.2007 03:17

   Lissabon (dpa) - Die Europäische Union gewinnt für ihre fast
500
Millionen Bürger die politische Kraft zurück. Nach zwei Jahren
politischer Lähmung einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs
am frühen Freitagmorgen in Lissabon auf neue Verträge. Diese sollen
es ermöglichen, von 2009 an die überfälligen Reformen durchzusetzen.
Polen und Italien setzten in den achtstündigen mehr Einfluss im
Ministerrat beziehungsweise im Europaparlament durch. Heute (Freitag)
kommt die Gipfelrunde erneut zusammen, um die Folgen der
Globalisierung und die Krise an den Finanzmärkten zu erörtern.

   Die EU will mit den neuen «Lissabonner Verträgen» demokrat
ischer,
reaktionsschneller und geeinter auf Herausforderungen wie den
Terrorismus, die wirtschaftliche Konkurrenz aus Asien und Amerika
sowie die sozialen Nöte ihrer Gesellschaften reagieren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werte die Einigung als großen
Erfolg. Es habe zum Schluss des fast sechs Jahre dauernden Streits
nur noch kleine Ergänzung gegeben, sagte sie. «An unserem Mandat, wie
es zum Ende der deutschen Präsidentschaft formuliert wurde, ist
nichts mehr verändert worden.»    

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erinnerte daran, dass
sich die EU noch vor wenigen Jahren «in tiefster europäischer
Depression» befand. Jetzt sei ein Neuanfang geschafft worden.

   Die Verträge ersetzen die EU-Verfassung, die 2005 bei Referenden
in Frankreich und in den Niederlanden durchgefallen war. Die Staats-
und Regierungschefs werden die Verträge am 13. Dezember in der
portugiesischen Hauptstadt unterschrieben.

   Der EU-Ratspräsident und portugiesische Regierungschef José
Sócrates würdigte die Einigung als einen «Sieg für Europa». «Di
e EU
kommt aus einer Sackgasse heraus», sagte er. «Europa wird stärker und
kann nun seine Rolle in der Welt spielen.» Der EU-
Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von einer
«historischen Einigung». «Jetzt kann Europa seine Interessen im
Zeitalter der Globalisierung verteidigen.»

   Auf den Straßen der portugiesischen Hauptstadt demonstrierten na
ch
Gewerkschaftsangaben bis zu 200 000 Menschen für mehr soziale
Gerechtigkeit in der EU.

   Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker sagte: «Das ist ei
n
guter Vertrag für Luxemburg und ein guter Vertrag für Europa.» Der
sogenannte Ioannina-Mechanismus, mit dem knappe
Mehrheitsentscheidungen aufgeschoben werden können, sei «bestätigt
worden. Im Vertrag werde festgehalten, dass diese Regelung nur
einstimmig abgeschafft werden könne. «Wir haben die polnischen
Probleme in einem Sinn gelöst, der uns gefällt.»

   Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy sah seine Europapolitik
bestätigt. «Er ist sehr zufrieden», sagte sein Sprecher. Sarkozy ha
be
vor 20 Monaten bei einer Rede in Berlin vereinfachte Verträge als
Ersatz für die gescheiterte Verfassung vorgeschlagen. Der Präsident
habe sich dann seit Amtsantritt vor fünf Monaten intensiv dafür
eingesetzt.

   Auch Polens Präsident Lech Kaczynski zeigte sich sehr zufrieden.
Vor den Parlamentswahlen an diesem Sonntag konnte er einen Erfolg
verbuchen. Sein Bruder Jaroslaw will am Sonntag sein Amt als
Ministerpräsident verteidigen. «Das Vorhaben eines EU-Reformvertrages
ist jetzt von Erfolg gekrönt», sagte er. Merkel habe - wie auch
Sarkozy und der britische Premier Gordon Brown - darauf gedrungen,
eine Lösung für die neuen EU-Verträge schon am ersten Gipfeltag zu
erreichen.

   Brown schickte ein wichtiges Signal an seine Kollegen: Er werde
seine vielfach euroskeptischen Bürgern nicht in einer Volksabstimmung
befragen, sondern das Parlament die Verträge billigen lassen. Alle
Mitgliedstaaten müssen die Verträge vor den Europa-Wahlen 2009
ratifizieren.  

   In harten Verhandlungen fanden die «Chefs» auch ein Lösung f
ür die
Forderungen Italiens nach mehr Einfluss im Europaparlament. Italien
soll einen zusätzlichen Sitz bekommen, kommt dann auf 73 Sitze und
zieht mit Großbritannien wieder gleich. Die Regierung in Rom sah sich
durch die - selbst vom Parlament beschlossene - Verringerung der
Mandate von 785 auf 750 Sitze benachteiligt. Die Stimme des
Parlamentspräsidenten wird nach den nächsten Wahlen im Frühsommer
2009 bei Abstimmungen nicht mehr mitgezählt. Derzeit haben Italien,
Frankreich und Großbritannien jeweils 78 Sitze. Zunächst war geplant
Italien 72, Großbritannien 73 und Frankreich 74 Sitze zu geben.

Von Christian Böhmer und Martin Romanczyk, dpa
dpa hk/rf/eb/cb/rom xx z2 gp