Mekka für Lobbyisten - Sogar die Feuerwehr zieht es nach Brüssel Von Irena Güttel, dpa

29.01.2008 13:47

Brüssel (dpa) - Wer in Brüssel was erreichen will, braucht ein
Büro in der Stadt. Ob Kerzenmacher-Vereinigung, Union der
Kartoffelmehlfabriken oder Verband der Wellpappen-Industrie - es gibt
kaum eine Interessengruppe, die nicht in der EU-Hauptstadt vertreten
ist. Zwischen 15 000 und 20 000 Lobbyisten sollen hier für
Wirtschafts- und Berufsverbände, Ländervertretungen, Konzerne und
Nicht-Regierungsorganisationen arbeiten. Am Dienstag eröffnete auch
der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) ein Büro in Brüssel.

Das mag manchem kurios erscheinen. Doch Brüsseler Beschlüsse haben
enorme Auswirkungen auf den Arbeitsalltag jedes einzelnen
Feuerwehrmannes, wie DFV-Sprecher Sönke Jacobs erklärt. Die EU
entscheidet, welche Führerscheine die Retter in Blau brauchen, wie
lange sie arbeiten dürfen und wie ihre Schutzkleidung aussehen muss.
Bis sich diese Erkenntnis bei der Feuerwehr durchsetzte, verging
allerdings einige Zeit. «Wir haben Brüssel erst in den letzten drei,
vier Jahren entdeckt», gesteht Jacobs.

Die deutschen Bundesländer versuchen dagegen seit vielen Jahren,
Einfluss auf Kommissionsbeamte und Parlamentarier zu nehmen - bis auf
das Gemeinschaftshaus von Hamburg und Schleswig-Holstein jedes mit
seiner eigenen Vertretung. Einige haben sich in den vergangenen
Jahren deutlich vergrößert, die Bayern residieren sogar in ihrem
eigenen Schloss. Auf 3,5 Millionen Quadratmetern haben sich nach
Angaben des Europa-Verbindungsbüro der Stadt Brüssel EU-Institutionen
und Lobbygruppen in Brüssel breitgemacht.

Bernd Dittmann leitet eine Repräsentation, die sich mittlerweile
über sieben Etagen erstreckt. Seit zehn Jahren steht Dittmann der
Vertretung des Bundesverbands der Deutschen Industrie vor, ist also
ein alter Hase in der Brüsseler Szene. Trotzdem ist er hin und wieder
überrascht: «Ich wundere mich manchmal, was es so für
Interessengruppen gibt.» Seiner Einschätzung nach ist die Zahl der
Lobbyisten-Büros mit den Jahren ständig gewachsen.

«Nach Washington
ist Brüssel die zweitgrößte Lobbyisten-Stadt der Welt», sagt Erik
Wesselius vom Corporate Europe Observatory. Die Amsterdamer Nicht-
Regierungsorganisation beobachtet die wirtschaftliche und politische
Macht von Lobbyisten. Die Organisation schätzt, dass die
Interessenvertreter jährlich bis zu einer Milliarde Euro ausgeben, um
die Geschicke in Brüssel zu beeinflussen. Doch selbst Wesselius weiß
nicht zu sagen, wie viele Vertretungen es tatsächlich in der Stadt
gibt.

«Wir brauchen ein obligatorisches Verzeichnis, das Transparenz in
die Geldströme bringt», fordert der Lobby-Beobachter. Die EU-
Kommission will im Sommer ein Register eröffnen - allerdings auf
freiwilliger Grundlage. Davon hält Wesselius wenig: «Viele Lobbyisten
haben schon angedeutet, dass sie sich nicht eintragen werden, weil
sie dann ihre Klienten und ihr Einkommen offenlegen müssten.»

(Berichtigung: Im ersten Absatz, fünfte Zeile wurde berichtigt:
20 000 (statt 20 0000) Lobbyisten)

dpa ig ff xx a3 mu/rk