EU: Deutschland war Spitze bei Bildung - Schavan räumt Verlust ein

22.05.2008 16:44

Brüssel (dpa) - Kinder aus Familien mit geringem Bildungsstand
hatten einem EU-Vergleich zufolge früher in Deutschland die besten
Chancen auf ein Hochschulstudium. In keinem anderen EU-Land war der
Zugang zu höherer Bildung laut Sozialbericht der EU-Kommission für
Kinder gering ausgebildeter Eltern so gut wie in der Bundesrepublik.

Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) räumte den Verlust
dieses Spitzenplatzes in Untersuchungen zur aktuellen Lage ein: «Es
ist zeitweilig zu wenig an einer ernsthaften Weiterentwicklung der
Lernkultur gearbeitet worden», sagte Schavan am Donnerstag in
Brüssel. Bildung bedeutet Aufstieg - diese Überzeugung habe die
Gesellschaft vor 40 Jahren geprägt. «Jetzt wird an den Instrumenten
für einen Wiederaufstieg gearbeitet», meinte Schavan.

Die EU-Zahlen geben Aufschluss über die Bildungschancen deutscher
Kinder, die vor 1972 geboren wurden. Die Auswertung beziehe sich auf
sehr lange Zeiträume, betonten Fachleute bei der Vorlage des Berichts
am Donnerstag in Brüssel. Deutschland rangierte demnach bei der
sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystems sogar knapp vor
Finnland, dessen seither reformiertes Schulsystem in aktuellen
Vergleichen häufig vorbildlich abschneidet.

Verglichen mit Haushalten von geringem Bildungsstand hatten
Menschen laut EU-Bericht in Deutschland eine 2,1 Mal höhere Chance
auf einen Hochschulabschluss, wenn auch ihre Eltern einen höheren
Bildungsabschluss besaßen. Im EU-Durchschnitt klaffen die Chancen von
Kindern aus mehr oder weniger gebildeten Haushalten hingegen um den
Faktor 3,6 auseinander. Dieser Faktor liegt sogar bei 9,7 in Polen,
bei 7,7 in Italien oder bei 6,7 in der Slowakei.

Schavan sagte, vor der «Bildungsexplosion» seien in Deutschland
nur 6 Prozent der Kinder aus Gymnasium gegangen. Heute seien es etwa
40 Prozent. Die EU-Statistik mit Daten von 2007 vergleicht für
Deutschland nur den Bildungsstand von Menschen im Alter von 35 bis 64
Jahren mit dem von deren Eltern. Für alle anderen EU-Länder wurden
die Aussichten für Menschen im Alter von 25 bis 54 Jahren
herangezogen. Begründung: Deutsche schließen ihr Studium später ab.

Der OECD-Bildungsbericht 2007 und aktuelle Studien in Deutschland
haben anders als der EU-Bericht festgestellt, dass soziale Herkunft
und Vorbildung der Eltern den Bildungserfolg der jetzigen Kinder und
Jugendlichen entscheidend beeinflussen. In Nordrhein-Westfalen etwa
erreichten 67 Prozent der Kinder von Eltern mit Abitur ebenfalls die
Hochschulreife, aber nur 7 Prozent der Kinder von Eltern ohne Abitur.

Der Sozialbericht der Kommission kommt auch zu dem Ergebnis, dass
sich die Einkommensschere in der EU und besonders in Deutschland seit
dem Jahr 2000 weiter geöffnet hat. Verdiente das reichste Fünftel der
Bundesbürger im Jahr 2000 noch 3,5 Mal mehr als das ärmste Fünftel,
so stieg dieser Wert bis zum Jahr 2006 auf den Faktor 4,1.

Vergleichsweise groß ist der Anteil der Deutschen, die sich dem
Sozialbericht zufolge seltener als alle zwei Tage Fleisch, Geflügel
oder Fisch auf dem Tisch leisten können. Jeder zehnte Bundesbürger
gab an, dafür nicht genug Geld zu haben - mehr als in jedem anderen
westeuropäischen Land. Bei dieser Befragung spiele aber ein
«subjektives Element» eine Rolle, schränkte ein Fachmann ein.
dpa ff xx z2 mm/jf