EU denkt nach Nahrungskrise um - Mehr Elektroautos, weniger Biosprit Von Georg Ismar, dpa

11.09.2008 14:59

Brüssel (dpa) - Das Elektroauto ist in der Europäischen Union
angekommen. Bis vor kurzem galt Biosprit als wichtiges Mittel für
Europas Klimaschutz und für mehr Unabhängigkeit vom Öl. Eine
Nahrungskrise später heißt das Zauberwort in Brüssel «Elektroauto
».
Am Donnerstag nahm der Entwurf ITRE/6/58782 im Industrieausschuss des
Europaparlaments eine entscheidende Hürde. Weniger Biotreibstoff,
mehr Elektroautos, lautet einer der wichtigsten Punkte.

Lobbygruppen bombardierten die Ausschussmitglieder vor der
Entscheidung mit Anrufen und Mails. «Wir standen ganz schrecklich
unter Druck», sagt der Mitarbeiter eines Abgeordneten. Bauernverbände
und Biokraftstofffirmen wehrten sich gegen die Aufweichung des Ziels,
dem Sprit bis zum Jahr 2020 zehn Prozent Bioanteil beizumischen.
Sogar die malaysische Regierung meldete sich zu Wort und forderte,
die Produktionsländer für Biosprit nicht mit neuen Regeln zu
benachteiligen. Umweltverbände - darunter Greenpeace und Friends of
the Earth Europe - warnten wiederum aus Sorge um Natur und
Lebensmittelpreise vor einem Ausbau der Biospritkapazitäten.

«Die hohen Ölpreise haben die Politik in die Agrotreibstofffalle
getrieben», sagt der Grünen-Abgeordnete Claude Turmes. Das Ziel eines
Zehn-Prozent-Anteils von Biosprit im Verkehr bis 2020 müsse deshalb
abgeschwächt werden. Als federführender Abgeordneter arbeitete Turmes
1200 Änderungen in den heftig diskutierten Entwurf ein.

Statt den Biosprit-Anteil wie von den Staats- und Regierungschefs
beschlossen massiv auszubauen, will der Industrieausschuss nur noch
sechs Prozent herkömmlichen Biosprit vorschreiben. Dieser wird unter
anderem aus Raps produziert und als Teilursache für Preisexplosionen
bei Lebensmitteln gesehen. Deshalb sollen als Alternative bald in der
EU möglichst viele E-Autos über die Straßen rollen - sie dürften ab
er
nur «grünen» Strom aus erneuerbaren Energien tanken.

Der Ausschuss strebt auch mehr Autos mit Hybridantrieben an. Zudem
sollen neue Treibstoffe aus Algen und Biomasse, die nicht in
Konkurrenz zu Nahrungs- oder Futtermitteln stehen, neben
herkömmlichen Biokraftstoff treten. Alle Maßnahmen zusammen sollen in
zwölf Jahren einen Anteil von zehn Prozent am Energieverbrauch im
Verkehr ausmachen. Auch die EU-Umweltminister stützen die dezente
«Biosprit-Wende», sie hatten den Meinungswandel zuvor selbst ins
Spiel gebracht. Der Plan sieht vor, die Ziele 2014 noch einmal
komplett auf den Prüfstand zu stellen - da sich die technologischen
Veränderungen im Verkehr derzeit rasant entwickeln.

«Ich bin Optimist und hoffe, dass das durchkommt», sagt Turmes.
Bis Ende 2008 sollen das Parlament und die EU-Staaten ihren Segen
geben. Er hat bei den europäischen Politikern einen Sinneswandel
ausgemacht. «Die Erdölvorräte werden bis 2035 drastisch sinken, das
könnte durch Biosprit ohnehin nicht ersetzt werden.» Es gehe darum,
Investitionen in Richtung neuer Technologien wie E-Autos zu lenken.

Der Generalsekretär des European Biodiesel Board (EBB), Raffaello
Garofalo, hatte bis zuletzt für das verbindliche Biospritziel von
zehn Prozent geworben. Von sechs Millionen Tonnen Biotreibstoff 2007
wollte man die Menge bis 2020 auf 20 Millionen Tonnen steigern. Die
Branche sieht sich in Misskredit gebracht: «Der Vorwurf, Biosprit hat
die Nahrungspreise in die Höhe getrieben, ist schlicht falsch.» Doch
auch Nutzen und Serienreife der Elektroautos werden schon bezweifelt:
Der Verkehrsclub Deutschland wies jüngst darauf hin, das deutsche
Stromnetz erlaube noch gar kein schnelles Aufladen.

dpa ir ff xx a3 ra