Im blockierten Bosnien herrschen Streit, Ratlosigkeit und Frust Von Thomas Brey, dpa

16.10.2008 11:07

Sarajevo (dpa) - Niemals zuvor seit dem Ende des Bürgerkrieges vor
13 Jahren wurde in Bosnien-Herzegowina so viel Klartext geredet. Vom
Europarat und der EU, vom Internationalen Bosnien-Beauftragten
Miroslav Lajcak sowie von den Botschaftern der USA, Großbritanniens,
Deutschlands und der Niederlande: Trotz vieler Milliarden Euro
Hilfen, trotz zehntausender Soldaten und tausender ziviler
Aufbauhelfer ist das Balkanland blockiert, steckt in einer Sackgasse.
Und das Schlimmste ist, dass niemand einen Ausweg kennt.

Enttäuschung macht sich breit. EU-Kommissar Olli Rehn sagte es in
der vergangenen Woche in der Hauptstadt Sarajevo, Lajcak in dieser
Woche in der Serben-Hochburg Banjaluka. Es ist wie zu Beginn des
Bürgerkrieges (1992-1995). Die muslimischen Bosnier, die knapp die
Hälfte der vier Millionen Einwohner stellen, und die Serben mit einem
Drittel stehen sich unversöhnlich gegenüber, sehen die jeweils andere
Landeshälfte als «feindliches Ausland» an. Mit tatkräftiger
Unterstützung des 15-prozentigen kroatischen Bevölkerungsanteils
blockiert der nationalistische Streit dieser drei Völker alles.

Auf Bundesebene funktionieren weder Regierung noch Gerichte, weil
die «Föderation» aus muslimischen Bosniern und Kroaten sowie die
«Serbenrepublik» fast unbegrenzt selbstständig sind. Ausländische
Investitionen sind im Blockadeklima der beiden Landesteile
Mangelware. Der komplizierte Staatsaufbau mit seinen zwei
Landeshälften, zehn Kantonen und dem muslimisch-serbischen
Gemeinschaftsdistrikt der Stadt Brcko im Norden verschlingt fast alle
Staatseinnahmen, so dass für Investitionen kein Geld übrig bleibt.

Die Serben haben in dieser Woche in ihrem Parlament in Banjaluka
noch mal ihre Muskeln spielen lassen: Keine Verfassungsreform mit
Abtretung von Zuständigkeiten der «Serbenrepublik» an den
Gesamtstaat. Das ist aber die Voraussetzung für eine weitere
Annäherung Bosniens an Brüssel. Schlimmer noch. Die vordergründigen
Zugeständnisse bei der Polizeireform - ebenfalls eine Brüsseler
Vorgabe - sollen wieder rückgängig gemacht werden. Und: Die Serben
könnten sich vom Gesamtstaat abspalten und der «Mutterrepublik»
Serbien anschließen.

Milorad Dodik ist als Ministerpräsident des serbischen Landesteils
der unumstrittene Repräsentant dieser Politik. Muslimführer Haris
Silajdzic will als sein Gegenpol die «Serbenrepublik» abschaffen,
weil sie auf «Völkermord» gegründet sei. Weder die Abtrennung der
Serben noch die Abschaffung ihres eigenen Landesteils komme in Frage,
wiederholen die ausländischen Politiker gebetsmühlenartig. Er sei
«schon ein wenig müde», bekannte Bosnien-Aufseher Lajcak. Die EU-
Verteidigungsminister bereiten unterdessen enttäuscht den Abzug ihrer
letzten 2125 von einst 35000 Soldaten vor.

Nach rund 100 000 namentlich bekannten Toten und mehreren
hunderttausend Verletzten im Krieg herrscht überall Stillstand. Die
Infrastruktur ist marode, die soziale Not groß - Besserung ist nicht
in Sicht. In einem Klima des gegenseitigen Hasses und Misstrauens
gedeihen einzig die Kriminalität und die alles beherrschende
Korruption. Schon vor drei Jahren hatte ein eigens eingerichteter
Parlamentsausschuss auf Bundesebene festgestellt, dass von den damals
5,5 Milliarden Euro Hilfsgelder zwei Milliarden «verschollen» sind.
dpa ey xx a3 mg