Müde und sparsam? - Kritik an Europawahlkampagnen Von Georg Ismar, dpa

07.05.2009 12:59

Berlin (dpa) - Ein Finanzhai würde die FDP wählen - meint die SPD
im Europawahlkampf. Heiße Luft gäbe ihre Stimme der Linken und
Dumpinglöhne würden nach Meinung der Sozialdemokraten für die Union
votieren. Die CDU gibt sich mit dem Slogan «Wir in Europa» recht
staatstragend. Die FDP setzt ganz auf die fotogene Spitzenkandidatin
Silvana Koch-Mehrin, während die Grünen es mit «Wums»! (Wirtschaft
und Umwelt, menschlich und sozial) für «ein besseres Europa»
versuchen. Lässt sich so die Wählerschaft für die Europawahl am 7.
Juni mobilisieren? Oder droht nach 43 Prozent Wahlbeteiligung 2004
ein neuer Negativrekord?

«Das ist ein Verlegenheitswahlkampf, eine Warmlaufveranstaltung
für die anderen Wahlkämpfe», sagt der Politikwissenschaftler Ulrich
Sarcinelli von der Universität Koblenz-Landau. «Es gibt keine
europäischen Köpfe und keine europäischen Themen, wie soll man da
einen Wahlkampf führen?» Hinzu komme, dass die Parteien für den
Europawahlkampf im Vergleich zu anderen Kampagnen am wenigsten Geld
ausgeben. Es sei oft leichter, ein bayerisches Bierzelt mit
Schimpfkanonaden auf die Brüsseler Reglementierung von Trakorsitzen
zum Kochen zu bringen als Wähler für Europa zu begeistern,
konstatiert der Politikwissenschaftler und Europaexperte Werner
Weidenfeld.

Nach einer Studie des Eurobarometers wusste vor kurzem noch nicht
einmal jeder Zweite in Deutschland, dass dieser Urnengang - die
weltweit zweitgrößte demokratische Wahl nach Indien - im Juni
überhaupt stattfindet. Als Wahl- und Informationshilfe gibt es nun
für Untentschlossene den «EU-Profiler». Gleichwohl betonen die
Parteien unisono die Bedeutung der Europawahl. So hat etwas Grünen-
Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke bei ihrer Partei eine große
Mobilisierungsbereitschaft ausgemacht.

Während an diesem Wochenende die meisten Parteien - genau vier
Wochen vor der Wahl - erstmals zum großen Aufgalopp blasen, fallen
viele Kampagnen bisher dadurch auf, dass das Thema Europa schwer zu
greifen ist. Die Rezepte reichen vom sogenannten Negative Campaigning
(SPD) bis zur Personalisierung (FDP). Im Netz reagieren die Liberalen
übrigens mit eigenen Plakaten auf die Angriffe der SPD, der Slogan
lautet: «Pleitegeier würden SPD wählen.» Sarcinelli wundert sich,
dass es angesichts der schweren Wirtschaftskrise und der Bedeutung
Europas bei der Suche nach einem Ausweg aus ihr, weiterhin einen
großen Mangel bei der Vermittlung der Bedeutung der Europawahl gebe.

«Das Europaparlament hat Macht», unterstreicht Weidenfeld, der
Direktor des Münchener Centrums für angewandte Politikforschung (CAP)
ist. «Die bisherige Wahlkampagne ist undramatisch, müde und
schüchtern. So wird sie nicht den notwendigen Mobilisierungsgrad
auslösen», befürchtet er. Er wirft den Parteien vor, zu wenig gegen
den Trend der schwachen Wahlbeteiligung zu tun. «Die Parteien geben
weniger Geld für den Europawahlkampf aus als sie später über die
Wahlkampfkostenerstattung zurückbekommen.»

Das gesparte Geld werde später in den anderen, oft für wichtiger
erachteten Wahlkämpfen etwa für die Bundestagswahl eingesetzt, sagt
Weidenfeld. Um die Bürger zur Wahl zu bewegen, müssten die
Zukunftsperspektiven in der Europapolitik klarer und sachlich
präsentiert werden. «Diese unterschiedlichen Angebote von Programmen
und Personen fehlen bis heute», bedauert Weidenfeld. Der Mainzer
Parteienforscher Jürgen Falter führt die seit den ersten Europawahlen
1979 ständig zurückgehende Beteiligung auf ein zunehmend selektives
Wahlverhalten zurück. Frei nach dem Motto: Nur, wo der Wähler das
Gefühl hat, dass die Stimme konkret etwas bewegt, geht er zur Urne.

(Internet: www.bundeswahlleiter.de, www.euprofiler.eu,
www.votematch.eu)
dpa ir yyzz a3 sk