EU fasst Türkei mit Samthandschuhen an

09.10.2009 14:09

   Brüssel (dpa) - In den Verhandlungen um einen Beitritt der T
ürkei
zur Europäischen Union will die EU-Kommission dpa-Informationen
zufolge Ankara entgegenkommen. Entwürfe der Brüsseler Behörde sehen
vor, den EU-Mitgliedstaaten weder neue Sanktionen noch eine neue
Frist zur Öffnung türkischer Häfen und Flughäfen für die Republik
Zypern vorzuschlagen, wie die Deutsche Presse-Agentur aus
Verhandlungskreisen erfuhr. Nichtsdestotrotz kritisiert die
Kommission einem Bericht der «Financial Times Deutschland» (Freitag)
zufolge die Lage der Menschenrechte.

Hintergrund sei, die Gespräche zur Wiedervereinigung Zyperns nicht
zu stören, in denen die Türkei eine entscheidende Rolle spielt, hieß
es. Die Kommission legt ihren jährlichen «Fortschrittsbericht» zur
Türkei am 14. Oktober vor. Der Entwurf kann noch geändert werden. Der
Bericht wird dann bis Ende des Jahres den 27 EU-Staaten vorgelegt.

Die Türkei führt seit 2005 Beitrittsverhandlungen mit Brüssel.
Einer der schwierigsten Bremsklötze ist der Konflikt um die seit dem
Einmarsch türkischer Truppen 1974 geteilten Mittelmeerinsel Zypern.

Während der griechische Südteil 2004 als Republik Zypern der EU
beitrat, ist der türkische Nordteil nur von Ankara anerkannt. Die
Türkei wiederum blockiert Importe aus der Republik Zypern, hat sich
aber im Rahmen des «Ankara-Protokolls» zur Öffnung verpflichtet. 2006
legte die EU acht von 35 Beitrittskapiteln auf Eis und setzte eine
Frist bis Ende 2009 zur Erfüllung des «Ankara-Protokolls».

Jetzt bietet sich EU-Diplomaten zufolge ein «historisches
Zeitfenster» zur Überwindung der Teilung Zyperns. So verhandeln die
politischen Führer des Süd- und des Nordteils, Dimitris Christofias
und Mehmet Ali Talat, seit September 2008 über die Bildung einer
Föderation. Außergewöhnlich ist laut Beobachtern das gute Verhältni
s
Talats und Christofias' und ihr Bekenntnis zu einer Einigung.

Allerdings stehen im Nordteil im April 2010 Wahlen an, wobei die
Gegner einer Einigung gewinnen dürften. Bis dahin sei die auf
absehbare Zeit letzte Chance, die Teilung zu überwinden. Der Zypern-
Konflikt belastet wegen gegenseitiger Blockaden der Türkei und
Griechenlands auch die Zusammenarbeit der EU und der NATO.

Wie es in dem Bericht laut «FTD» weiter heißt, bleiben bei der
Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit, Gewerkschaftsrechten,
ziviler Kontrolle über das Militär und der Gleichberechtigung von
Mann und Frau Mängel. Häusliche Gewalt, sogenannte Ehrenmorde und
frühe Zwangsehen seien immer noch ernste Probleme.    Lobend erwä
hnen
die Beamten die außenpolitische Rolle Ankaras, die Verbesserung der
Beziehungen mit Armenien, die Eröffnung eines kurdischen
Fernsehkanals und ein Gesetz, nachdem Militärs vor Zivilgerichte
gestellt werden dürfen. Besonders positiv wird die Mitarbeit an der
Nabucco-Gas-Pipeline hervorgehoben.

Erst kürzlich waren von den türkischen Behörden beispiellos hohe
Steuerstrafen für die türkische Mediengruppe «Dogan» im In- und
Ausland als offensichtlich politisch motiviert kritisiert worden.
Dogan hatte sich mit der Regierung und dem Ministerpräsidenten Recep
Tayyip Erdogan angelegt.    Im Februar schickten die Steuerbehörden
einen Strafbefehl über fast 400 Millionen Euro an Dogan. Grund seien
Unregelmäßigkeiten beim Verkauf von Anteilen der Gruppe an das
deutsche Medienhaus Axel Springer («Bild», «Die Welt»). Zugleich
wurden Aktienverkäufe zwischen Unternehmen der Dogan-Gruppe unter die
Lupe genommen. Ein weitere Steuerstrafe lautet nun auf mehr als 1,7
Milliarden Euro.

   Medien der Dogan-Gruppe hatten 2008 ausführlich über Korruptio
n in
Erdogans islamisch-konservativer AKP berichtet. Auch ein deutsch-
türkischer Spendenskandal im Umfeld der AKP wurde zum Thema, wobei
die Rolle eines Sohnes von Erdogan hinterfragt wurde. Der
Ministerpräsident hatte Dogan mehrfach scharf kritisiert. Er rief die
Zeitungsleser unter seinen Anhängern vor der Kommunalwahl im März
wiederholt zu einem Boykott der Blätter auf.
dpa dj/cn xx z2 mg