Neue Gewichte in der EU: Van Rompuy an der Macht Von Dieter Ebeling, dpa

22.03.2010 13:29

   Brüssel (dpa) - Der Wandel kam auf leisen Sohlen, natürlich. D
er
stille Belgier Herman Van Rompuy, der im Dezember vergangenen Jahres
als Ratspräsident in der Europäischen Union das Regiment übernommen
hat, hasst laute Töne. Aber schon nach vier Monaten ist in der EU
vieles nicht mehr wie früher. Nicht einmal die Gipfelkonferenzen. Und
die politischen Gewichte verschieben sich. Während Van Rompuy (62)
die Runde der Staats- und Regierungschefs zielstrebig zum Dreh- und
Angelpunkt der EU ausbaut, droht der EU-Kommission von José Manuel
Barroso Machtverlust. Nicht nur durch Van Rompuy, sondern auch durch
die neue EU-«Außenministerin» Catherine Ashton.

   Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag will der außerhalb
Belgiens weithin unbekannte und oft unterschätzte Van Rompuy
vorexerzieren, wer jetzt in der Union der 27 Staaten entscheidet. Die
«Chefs» persönlich werden sich mit der griechischen Finanzkrise
befassen. Außerdem wollen die Staats- und Regierungschefs die
Weltklima-Verhandlungen retten. Und innerhalb von nur 20 Stunden
möchten sie auch noch eine verbindliche Wachtumsstrategie bis zum
Jahr 2020 auf den Weg bringen. Einhändig sozusagen: Minister, auch
die Außenminister, müssen jetzt bei Gipfeln draußen bleiben.

   Zehn statt bisher vier Mal pro Jahr will Van Rompuy solche Gipfel

künftig veranstalten, in fast jedem Brüsseler Arbeitsmonat also. So
normal sollen die ständigen Spitzentreffen werden, dass sie dann gar
nicht mehr «Gipfel» genannt werden. Van Rompuy herrscht allein über
die Tagesordnung. Die Regierungschefs werden dann alle wichtigen
Fragen vorentscheiden und lediglich die Umsetzung ihrer Beschlüsse
den Fachministern und der Kommission überlassen: Beide werden zu
Durchführungsorganen. Politische Initiativen sollen damit künftig von
«oben» kommen und nach «unten» durchgereicht werden, sagen
Diplomaten. Bisher lief der Politikprozess über Kommission und
Fachministerräte in genau umgekehrter Richtung.

   Mit «informellen» Treffen im ganz kleinen Kreis kann Van Rom
puy
zudem, wie bereits im Februar erfolgreich demonstriert, die
Mitsprache der «rotierenden Ratspräsidentschaft» gänzlich vermeiden
.
Bisher nahm er noch Rücksicht auf die Spanier, die in der ersten
Jahreshälfte den Ministerräten vorsitzen dürfen. Der Zufall will es,

dass Belgien im zweiten Halbjahr die «rotierende» Präsidentschaft
übernimmt: Van Rompuys Nachfolger als belgischer Regierungschef, Yves
Leterme, dürfte dann - sagen Diplomaten - gänzlich verstummen und
damit auch für nachfolgende Länder den Ton vorgeben.

   Unklar ist noch, welche Rolle sich Kommissionspräsident Barroso
in
Konkurrenz zur Machtexpansion der Gipfelrunde Van Rompuys bewahren
kann. Wöchentliche Treffen mit Barroso haben Van Rompuy - der schon
als Überlebenskünstler der extrem komplizierten belgischen
Innenpolitik seine Unscheinbarkeit für sich zu nutzen wusste - zum
entscheidenden Ansprechpartner des Kommissionspräsidenten gemacht.
Solange Barrosos Kommunikation mit den Staats- und Regierungschefs
wie bisher über Van Rompuy läuft, wird dieser es zufrieden sein. Als
Barroso beim Februar-Gipfel darum bat, wenigstens neben Van Rompuy
stehen zu dürfen, als dieser vor laufenden Kameras zur EU-Reaktion
auf die griechische Krise sprach, ließ der Belgier ihn gewähren.
Später sagte er Vertrauten, für Barroso sei das ja wohl wichtig
gewesen: «Mir ist es völlig egal, ob ich da alleine stehe oder
nicht.»

   Bedeutungsverlust der Fach-Ministerräte und der Kommission,
Machtgewinn der Staats- und Regierungschefs: Das bedeutet auch, dass
die großen EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien
in neuer Verantwortung stehen. Und angesichts des Machtbebens gewinnt
der Streit um Aufgaben und Kompetenzen des neuen Europäischen
Auswärtigen Dienstes (EAD) seine Bedeutung. Dass die Kommission
Aufgaben an einen Dienst abgeben muss, der zwischen Regierungen und
Kommission stehen soll, ist klar. Wie schmerzlich dieser Verlust sein
wird, ist noch unentschieden. Rat und Kommission rangeln um Einfluss
auf das 7000 Beamte zählende Diplomatencorps der EU. Und nicht nur
sie: Das Europaparlament hat zwar inhaltlich wenig mitzureden, muss
aber den Finanzen zustimmen. Die zweite Runde eines großen Kampfes um
Macht und Einfluss könnte mit Hilfe von Haushaltsplänen entschieden
werden.
dpa eb xx a3 mo