Dioxin-Skandal: Suche nach Schuldigen und Konsequenzen

04.01.2011 20:17

Wer ist schuld am Dioxin in Eiern und Tierfutter? Staatsanwälte
ermitteln gegen den Futterhersteller. Die Regierung prüft schärfere
Auflagen für die Industrie. Bauern sind wütend, Verbraucher
verunsichert. Jetzt schaltet sich auch die EU ein.

   Hannover/Berlin (dpa) - Dioxinverseuchte Eier und möglicherweise

belastetes Geflügelfleisch verunsichern Verbraucher, empören
Landwirte und rufen Bundesregierung und EU-Kommission auf den Plan.
Die Bundesregierung prüft schärfere Regeln für Hersteller, die EU
verlangt Aufklärung, in NRW wurden am Dienstagabend vorsorglich 139
weitere Betriebe gesperrt. Ursache des Skandals war die Verwendung
von Fett in der Futtermittelproduktion, das nur für technische Zwecke
geeignet ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Firma Harles
& Jentzsch aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen.

   Welche Lebensmittel außer Eiern noch verseucht sein könnten, w
ird
erst in einigen Tagen feststehen. Mehr als 1000 Bauernhöfe in
mehreren Bundesländern sind gesperrt. Sie dürfen ihre Ware erst
wieder verkaufen, wenn sie auf eigene Kosten in Labortests die
Unbedenklichkeit nachgewiesen haben. Erste Testergebnisse in
Niedersachsen ergaben: Bei 15 von 18 untersuchten Höfen, die Eier
produzieren, lag die Dioxin-Menge in den Eiern im Rahmen des
Erlaubten, teilte das Agrarministerium mit. Die gesamten Labor-Tests
könnten Wochen dauern, sagte ein Ministeriumssprecher in Hannover. 

   Politiker versicherten, dass keine Gefahr für die Gesundheit der

Verbraucher bestehe. Das Bundesinstitut für Risikobewertung gab
ebenfalls vorläufig Entwarnung. «Von den Informationen, die wir
haben, kann man davon ausgehen, dass eine akute Gefährdung des
Verbrauchers beim Verzehr von Eiern nicht besteht», sagte der Leiter
für Futtermittel bei der Bundesbehörde, Helmut Schafft. Die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung (DGE), riet, Kinder sollten derzeit
sicherheitshalber nicht täglich Eiergerichte essen.

   Möglicherweise ist auch dioxinbelastetes Geflügelfleisch von

Sachsen aus in den Handel gelangt. Anfang Dezember wurde in einem
Zuchtbetrieb im Landkreis Görlitz Geflügel geschlachtet, das
vermutlich verseuchtes Futter gefressen hatte, wie das Landratsamt
mitteilte. «Wohin das Fleisch ging, muss jetzt geprüft werden», sagte

Amtssprecher Andreas Johne. Vermutlich sei es bereits verzehrt.

    Die Verbraucherzentralen verlangten mehr Information und besser
e
Kontrolle. «Die Behörden müssen die Öffentlichkeit aktiv informiere
n,
welche Hersteller, Händler und Chargennummern betroffen sind»,
forderte Vorstand Gerd Billen.    

Unterdessen hat sich die EU-Kommission eingeschaltet: Die EU-
Behörde will von Deutschland wissen, ob belastete Produkte wie Eier
oder Fleisch in andere Mitgliedstaaten exportiert wurden. Das sagte
der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli in Brüssel.

   Harles & Jentzsch kaufte nach eigenen Angaben jahrelang Reste aus

der Biodiesel-Herstellung auf und verarbeitete sie für Viehfutter.
«Wir waren leichtfertig der irrigen Annahme, dass die Mischfettsäure,
die bei der Herstellung von Biodiesel aus Palm-, Soja- und Rapsöl
anfällt, für die Futtermittelherstellung geeignet ist», zitierte das

«Westfalen-Blatt» den Geschäftsführer Siegfried Sievert.
Industriefette sind billiger als Nahrungsmittelfette.

   Der Lieferant des Rohstoffs, die Petrotec AG aus Borken
(Nordrhein-Westfalen), betonte: «Wir haben in sämtlichen Verträgen,
Lieferscheinen und Rechnungen stets darauf hingewiesen, dass die
Mischfettsäure aus Altspeisefett nicht für die Lebens- und
Futtermittelindustrie, sondern ausschließlich zur technischen
Verwendung bestimmt ist.» Technische Verwendung kann zum Beispiel als
Schmierfett sein.

«Es stellt sich die Frage, ob es nicht ein zu hohes Risiko
darstellt, wenn Betriebe, die Bestandteile für Futtermittel liefern,
gleichzeitig technische Produkte vertreiben, die unter keinen
Umständen in Lebensmittel oder Futtermittel gelangen dürfen», sagte
Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) der «Berliner Zeitung»
(Mittwoch). Ihr Ministerium werde mit den Ländern prüfen, ob die
Zulassungsbedingungen für Betriebe verschärft werden müssten. Der
Agrarausschuss des Bundestags plant eine Sondersitzung.

Von den Ländern forderte Aigner mehr Transparenz über den Verbleib
belasteter Eier. «Dazu gehört auch, dass die Verbraucherinnen
und Verbraucher erfahren können, ob mit Dioxin belastete Eier bei
ihrem Lebensmittelhändler verkauft wurden», sagte Aigner den «Ruhr
Nachrichten» (Mittwoch). Die rechtlichen Grundlagen ermöglichten den
Ländern die klare und schnelle Nennung verantwortlicher Firmen sowie
betroffener Chargen.

    Der Deutsche Bauernverband hält einen Millionenschaden für
die
gesperrten Höfe für möglich. Generalsekretär Helmut Born forderte
Schadenersatz: «Wer den Schaden verursacht, bezahlt ihn auch.»
Betroffen sind neben Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen
mindestens auch Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen.
In NRW wurden am Dienstagabend 139 weitere landwirtschaftliche
Betriebe vorsorglich gesperrt.

Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelt gegen Verantwortliche von
Harles & Jentzsch. Oberstaatsanwalt Ralph Döpper in Itzehoe sieht
einen Anfangsverdacht auf Verstoß gegen das Lebensmittel-,
Bedarfsgegenstände- und Futtermittel-Gesetz. Auch die
Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Oldenburg ist eingeschaltet.
Sie nahm ein Tanklager und eine Rührstation für Futterfett in Bösel
bei Cloppenburg, die zu Harles & Jentzsch gehören, unter die Lupe.


# dpa-Notizblock

## Internet
- [Pressemitteilung Petrotec](http://dpaq.de/31ZIp)
- [Homepage Harles & Jentzsch](http://dpaq.de/873H2)

## Orte
- [Agrarministerium](Calenberger Str.2, Hannover)
- [Petrotec](Fürst-zu-Salm-Salm-Str. 18, 46325 Borken-Burlo)
- [Harles & Jentzsch GmbH](Deichstr. 25a, Uetersen)
- [Deutscher Bauernverband](Claire-Waldoff-Straße 7, 10117 Berlin)