Wer bewaffnete Gaddafi? - Europas zwiespältige Exportpolitik Von Fernando Heller, dpa

23.02.2011 17:53

Die EU hat den Export von Waffen nach Libyen gestoppt. Nach einem
aktuellen EU-Bericht erteilten die Europäer allein 2009
Exportlizenzen für Kriegsgerät im Wert von 344 Millionen Euro.

   Brüssel (dpa) - Europa steht vor einem schwer vermittelbaren
Widerspruch: Während die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton den
libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi auffordert, sein Volk nicht
zu unterdrücken, enthüllt ein offizieller Bericht, dass der
exzentrische libysche Führer die Demokratiebewegung in seinem Land
womöglich mit Bomben aus europäischer Produktion bekämpft.

   Am Mittwoch stoppte die EU den Waffenexport - nachdem alleine 2009

Exportlizenzen für rund 344 Millionen Euro erteilt worden waren. Eine
eher bescheidene Summe im Vergleich zu den im Vorjahr vereinbarten
Waffenlieferungen Moskaus an Gaddafi im Wert von 1,5 Milliarden Euro.

   «Belgische Waffen, um die libysche Bevölkerung zu unterdrück
en»,
hatte zuvor die belgische Zeitung «Le Soir» getitelt. Das Blatt bezog
sich auf militärische Quellen, nach denen die Firma FN Herstal
Gaddafi im Juli 2008 eine bedeute Waffenladung verkauft habe. Dazu
zählten unter anderem 400 Sturmgewehre F2000, 367 Maschinenpistolen
P90, mehr als 22 000 Mörsergranaten und mehr als eine Million
Gewehrkugeln für das 32. Bataillon des libyschen Heeres. Die
Lieferung hatte einen Wert von insgesamt 5,3 Millionen Euro.

   Doch das ist nur ein klitzekleiner Teil der Waffen «Made in
Europe», die in den vergangenen Jahren nach Tripolis gelangt sind.
Nach dem jüngsten, schon im Januar veröffentlichten Jahresbericht
sind Italien und Malta die größten europäischen Waffenlieferanten an

Libyen, gefolgt von Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

   Insgesamt erteilten demnach die 27 EU-Mitglieder Lizenzen für
Waffenexporte in Höhe von knapp 344 Millionen Euro - an ein Land, das
von einigen Mitgliedern wie Italien als «Freund» betrachtet wurde,
das aber nicht einmal die einfachste Prüfung auf demokratische
Standards bestehen würde.

   Die Europäische Nachbarschaftspolitik, die nach der Osterweiteru
ng
2004 entwickelt wurde, enthält eine spezielle Klausel. Darin hat sich
die EU verpflichtet, die Zusammenarbeit mit ihren Partnern, viele von
ihnen an der Südküste des Mittelmeeres, zu verstärken - auf der Basis

«europäischer Werte» wie Demokratie und Respekt der Menschenrechte.

   Allein Italien erteilte Exportlizenzen im Wert von 112 Millionen
Euro, der allergrößte Teil davon für den Verkauf von Flugzeugen und
Hubschraubern an Libyen. Überraschend ist, dass auf dem zweiten Platz
der Liste die kleine Mittelmeerinsel Malta auftaucht. Sie vergab
Lizenzen über 80 Millionen Euro, vor allem für kleinkalibrige Waffen
wie Pistolen und automatische Handfeuerwaffen.

   Deutschland steht auf Platz drei mit Lizenzen über 53 Millionen

Euro, der größte Teil für elektronische Geräte, zum Beispiel um
Mobiltelefonnetze, Internet und GPS lahmzulegen. Auf dem vierten
Platz des «unbequemen Rankings» folgt Frankreich mit 30,5 Millionen
Euro vor Großbritannien (25,5 Millionen) und Belgien (22 Millionen).

   Die große Frage in Europa ist jetzt: Dienen diese Waffen dazu, d
ie
libysche Bevölkerung zu unterdrücken? Ruddy Demotte, Premierminister
der belgischen Region Wallonie, wo die Firma FN Herstak ihren Sitz
hat, verneint das. «Der Vertrag legt ausdrücklich fest, dass die
(belgischen) Waffen für das 32. Bataillon der Elite-Kräfte des
libyschen Heeres bestimmt sind, im Rahmen einer Mission zum Schutz
der (libyschen) Konvois für humanitäre Hilfe mit Bestimmungsort
Darfur ...Diese Waffen sind nicht dazu gedacht, in Libyen benutzt zu
werden», sagte Demotte dem belgischen Radiosender RTBF.

   Doch Benoit Van der Meershen, Vorsitzender der Liga Für
Menschenrechte Belgiens, zeigt sich davon nicht so überzeugt. «Die
leichten Waffen töten jedes Jahr rund 500 000 Menschen in aller Welt,
90 Prozent davon sind Zivilisten. Libyen hatte keinerlei
Notwendigkeit, Waffen von FN Herstal zu bekommen: Gaddafi brauchte
sie nicht», sagte er der Zeitung «Le Soir».

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- [Artikel Le Soir] (http://dpaq.de/M3mLv)