Wulff greift EZB an - Wirbel um Schäubles «Geheimpapier» Von Tim Braune und André Stahl, dpa

24.08.2011 17:48

Der Bundespräsident schlägt Alarm: Wulff kritisiert scharf die
Euro-Feuerwehreinsätze der Europäischen Zentralbank. Altkanzler Kohl
fürchtet um sein Europa-Erbe. Und in Berlin fürchten viele
Abgeordnete, dass die Regierung den Bundestag umgehen will.

Berlin (dpa) - Bundespräsident Christian Wulff hat das
Euro-Krisenmanagement von Politik und Europäischer Zentralbank (EZB)
scharf kritisiert. «Ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen
einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich
bedenklich», sagte Wulff am Mittwoch. CDU-Altkanzler Helmut Kohl
warnte derweil vor einem Zusammenbruch des gemeinsamen Europas und
griff damit auch den Kurs seiner Nachfolgerin Angela Merkel an.

Aufregung in Berlin gab es um ein angebliches «Geheimpapier» von
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Reform des Euro-
Rettungsschirms. Eine Sonderbehandlung Finnlands bei den neuen
Griechenland-Hilfen zulasten anderer Euro-Länder lehnte die
Bundesregierung klar ab.

Wulff hielt der EZB vor, mit dem Kauf von Anleihen maroder
Euro-Länder für über 100 Milliarden Euro sei die Notenbank weit übe
r
ihr Mandat hinausgegangen. Dies könne allenfalls übergangsweise
toleriert werden, sagte Wulff bei einem Treffen von Wirtschafts-
Nobelpreisträgern in Lindau am Bodensee. Normalerweise gilt, dass
Politiker die Arbeit der unabhängigen europäischen Währungshüter
nicht bewerten.

Das Staatsoberhaupt äußerte auch deutliche Kritik an der Politik
vieler Regierungen in der Krise. «Die Versündigung an der jungen
Generation muss ein Ende haben.» Die Turbulenzen an den Finanzmärkten
seien wie ein Domino-Spiel. «Erst haben Banken andere Banken
gerettet, und dann haben Staaten Banken gerettet, dann rettet eine
Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Wer rettet aber am Ende die
Retter?»

Viele Bundestagsabgeordnete haben die Sorge, dass die Regierung
bei der Erweiterung des Rettungsschirms EFSF die Rechte des
Parlamentes aushöhlen könnte. Bundestagspräsident Norbert Lammert
(CDU) erklärte im «Handelsblatt», eine Generalermächtigung für de
n
Euro-Rettungsfonds sei ausgeschlossen. Nach seiner Überzeugung müsse
der Bundestag «über jede neue Hilfsmaßnahme einzeln und vorher
entscheiden, bevor eine Verpflichtung rechtswirksam wird», sagte
Lammert der WAZ-Mediengruppe (Donnerstag).

Das Finanzministerium wies die Behauptung zurück, Schäuble
betreibe Geheimdiplomatie. Es handele sich um einen ersten Entwurf
der Euro-Länder zur vereinbarten Reform des Rettungsschirm EFSF, über
den aber noch weiter verhandelt werde. Der Finanzminister sei in
besonderer Weise darauf bedacht, den Bundestag frühzeitig zu
informieren, betonte ein Sprecher.

In dem der Nachrichtenagentur dpa vorliegenden Schreiben zum
Entwurf sicherte Schäuble den Fraktionen zu, sich bei den
Verhandlungen für die «Verankerung weiterer deutscher Anliegen»
einzusetzen.

Der Vertrag der 17 Euro-Länder ist auch Grundlage für die
deutschen Gesetzespläne zur Umsetzung der Gipfelbeschlüsse vom 21.
Juli zur EFSF-Reform. Danach soll der Fonds tatsächlich über ein
Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro verfügen. Auch soll er
Anleihen kriselnder Euro-Länder aufkaufen können und früher
eingreifen. Das Bundeskabinett will am 31. August das Gesetz auf den
Weg bringen, Bundestag und Bundesrat sollen bis zum 23. September
entscheiden.

Im Fall Finnland zog die Regierung eine klare Grenze. Deutschland
werde keiner Lösung zustimmen können, die ein einzelnes Land
gegenüber allen anderen Ländern bevorteile, sagte Regierungssprecher
Steffen Seibert. Helsinki hatte mit der griechischen Regierung
Extra-Sicherheiten für seine Notkredite ausgehandelt - als einziges
Land der Beteiligten am 109 Milliarden Euro umfassenden Rettungspaket
für Athen.

Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel muss unterdessen weiter in den
eigenen Unionsreihen um Zustimmung für ihren Euro-Kurs kämpfen. Die
Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, rechnet aber mit
einer Mehrheit von Schwarz-Gelb bei der Abstimmung Ende September:
«Es ist zum Ausdruck gekommen, dass niemand zurück zur D-Mark will.»

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier meinte dagegen, die
schwarz-gelbe Koalition biete «ein Bild des Chaos».

Altkanzler Kohl ging mit der Politik seiner Nachfolger im
Kanzleramt hart ins Gericht. «Deutschland ist schon seit
einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch
nach außen», beklagte Kohl in einem Interview der Zeitschrift
«Internationale Politik». «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht
alles verspielen.» Deutschland und Europa müssten ihre Verantwortung
für die Welt «endlich wieder wahrnehmen».

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