EU streitet über mögliche Vertragsänderungen

23.10.2011 18:27

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union prüft, ob sie den Vertrag
von Lissabon ändern muss, um Verstöße gegen den Stabilitätspakt
besser ahnden zu können. Bei einem Treffen der Staats- und
Regierungschefs der 27 EU-Staaten wurde eine Prüfung der Frage
«begrenzter Vwertragsänderungen» beschlossen. Unter anderen hatte
Bundeskanzlerin Angela Merkel solche Änderungen gefordert.

Der Gipfel erinnerte in einer Erklärung daran, «dass jede
Vertragsänderung von den 27 Mitgliedstaaten beschlossen werden muss».
Damit wurde deutlich gemacht, dass es nicht nur um die 17 Staaten der
Eurozone geht.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy wurde beauftragt, im Dezember
einen Bericht über mögliche «begrenzte Vertragsänderungen»
vorzulegen. «Wir wollen die Struktur des Lissabon-Vertrags nicht
ändern», sagte Van Rompuy. «Alles andere werden wir sehen, wenn wir
überlegen, was wir brauchen, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu
verbessern.»

Merkel hatte zum Gipfelbeginn Vertragsänderungen gefordert, um
Schuldensünder besser zur Rechenschaft ziehen zu können. «Wir
brauchen mehr Europa. Stärkere Durchgriffsrechte und
Vertragsänderungen dürfen dafür auch kein Tabu sein.» Van Rompuy
sagte: «Wenn wir begrenzte Vertragsänderungen brauchen, dann ist das
nicht das Ziel, aber auch kein Tabu: Das Ziel ist die Stärkung der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit.»

«Wir müssen versuchen, zu verhindern, dass diese Lage noch einmal
entstehen kann», sagte auch der niederländische Regierungschef Mark
Rutte. Er hat unter anderem vorgeschlagen, den Posten eines
Sparkommissars zu schaffen, der Defizitsünder zu Haushaltskorrekturen
zwingen kann.

Bedenken äußerte der schwedische Regierungschef Fredrik Reinfeldt.
«Vertragsänderungen brauchen viel Zeit», sagte er in Brüssel. «Un
d es
besteht die Gefahr politischer Unruhen in vielen Ländern.» Er
plädierte dafür, schon vorhandene Disziplinierungsmöglichkeiten zu
nutzen.

Der Präsident des Europaparlaments, Jerzy Buzek, schloss hingegen
«längerfristig» Änderungen des erst im Dezember 2009 in Kraft
getretenen Lissabon-Vertrags nicht aus. Diese sollten allerdings
strikt auf «Fragen der Wirtschaftsunion und der Wirtschaftsregierung
beschränkt» sein. «Ich fürchte allerdings, dass unsere Bürger zu

einer neuen Runde von Volksabstimmungen und Ratifizierungen nicht
bereit sein werden», sagte er zu Beginn des Gipfels. «Wir sollten so
etwas nicht so rasch vorschlagen.»

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sagte unter Hinweis auf
die schwierige Ratifizierung des Lissabon-Vertrages, eine erneute
Vertragsänderung werde mindestens zwei bis drei Jahre dauern: «Für
die kurzfristigen Probleme bringt eine Vertragsänderung nichts.»

Im Gegensatz zur deutschen Forderung, Vertragsänderungen auf
mögliche Sanktionen für Defizitsünder zu beschränken, sagte Faymann
,
es müsse dabei auch beispielsweise um Steuerflucht und -betrug,
Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit und die Verankerung der
Finanztransaktionssteuer gehen: «So eine umfassende Diskussion ist
natürlich immer möglich, aber sie löst kurzfristig nichts.»

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte bereits am Vortag für
Vertragsänderungen plädiert. Unter anderem könne geprüft werden, ob

bei dauerhaften Verstößen gegen die Stabilitätsvorschriften nicht der

Europäische Gerichtshof Strafen verhängen könne. Für den Wunsch nac
h
Vertragsänderungen habe er «durchaus auch viel Zuspruch gefunden».

Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn warnte hingegen davor,
«die Büchse der Pandora zu öffnen»: «Es kann nicht sein, dass die

innenpolitischen Überlegungen und die innenpolitischen Prozeduren
auch des größten Landes in der Europäischen Union alles überwiegen.
»

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