Der Countdown für Griechenland läuft Von Takis Tsafos, dpa

11.01.2012 12:52

Rettung oder «Game over»? Bekommt Griechenland kein frisches Geld,
dann kann der Staat im März seine Schulden nicht bezahlen.
Gleichzeitig wird die Lage der Bevölkerung immer dramatischer.

Athen (dpa) - Es geht um alles oder nichts - und den Griechen
läuft die Zeit davon. «Für uns hat der Countdown begonnen», sagt ei
n
Mitarbeiter des Finanzministeriums in Athen der Nachrichtenagentur
dpa. Von allen Geldgebern komme die gleiche Botschaft: Diesmal ist es
das letzte Mal. Griechenland muss alle Reformen umsetzen und noch
härtere Maßnahmen treffen - sonst gibt es kein Geld mehr. «Sie sagen

es uns offen: Sie könnten auch ohne uns im Euroland leben», sagt der
Mann aus dem Finanzministerium.

Auch Ministerpräsident Lucas Papademos erklärt seinen
Gesprächspartnern regelmäßig den Ernst der Lage. Eine
unkontrollierbare Zahlungsunfähigkeit würde katastrophale Folgen
haben. Doch genau die ist in Sicht: Im März muss Athen 14,4
Milliarden Euro an seine Gläubiger zahlen. Aber in den Kassen ist
kein Cent dafür vorhanden. Kommt kein frisches Geld von den anderen
Euro-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), ist
Griechenland pleite.

Einen solchen Tanz auf dem Vulkan hat es in den vergangenen zwei
Jahren immer wieder gegeben. Nur diesmal ist die Lage deutlich
ernster: Während Papademos Ordnung im eigenen Haus schaffen muss,
kämpft und verhandelt er gleichzeitig mit Griechenlands privaten
Gläubigern, also Banken und Hedge Fonds, um den überlebensnotwendigen
Schuldenschnitt von 50 Prozent zu sichern. Der ist Voraussetzung,
damit das neue Hilfspaket von 130 Milliarden Euro überhaupt aufgelegt
wird.

Entsprechend dramatisch betiteln die Athener Zeitungen das
drohende Szenario: «Ultimatum», «Das Ende naht», «Game over, wenn

nicht jetzt etwas unternommen wird». Sogar das Tabuwort der alten
Währung Drachme und ihre Wiedereinführung sind mittlerweile in aller
Munde. Meist aber mit dem erklärenden Satz: «Nie wollen wir dahin
zurück.» Über 70 Prozent der Griechen sind für den Euro. Aber
populistische Blätter meinen angesichts ergebnisloser Sparprogramme,
nur die Rückkehr zur Drachme könne Griechenland retten.

Und tatsächlich wird die Lage für die Bürger unerträglich: Die
beiden größten Gewerkschaftsverbände haben ausgerechnet, dass die
Griechen in den vergangenen zwei Jahren rund 40 Prozent ihres
Einkommens verloren haben. Die Arbeitslosigkeit liegt über 18 Prozent
- und steigt weiter. In den Arbeitervierteln von Athen organisieren
sich die Menschen mit Hilfe der Kirche und humanitärer
Organisationen, weil der Staat nichts mehr für sie tun kann. In fast
allen Supermärkten können Kunden an Sammelstellen Lebensmittel für
Bedürftige abgeben. Mehr als 200 Tonnen kamen allein zwischen
Weihnachten und Neujahr zusammen. Damit konnte über 250 000 Menschen
geholfen werden.

Die Orthodoxe Kirche schätzt, dass mehr als 20 000 Menschen
obdachlos geworden sind. Und Hunderte Migranten aus asiatischen und
afrikanischen Staaten vegetieren dahin, weil sie als erste keine
Arbeit mehr finden. Viele von ihnen ernähren sich aus Mülleimern.
«Das Land bricht auseinander. Ich kann es nicht mehr sehen», sagt
eine Deutsche, die seit 1982 in Griechenland lebt.

Und trotz der harten Sparprogramme ist es Athen nicht gelungen,
die von Europäischer Union, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB)
gesetzten Ziele zu erreichen. 2011 dürfte das Defizit nach letzten
Schätzungen der Bank von Griechenland zweistellig sein und um 10,2
Prozent liegen. Ziel waren 7,8 Prozent. Im selben Zeitraum schrumpfte
die Wirtschaft um fast sechs Prozent. 2012 dürfte sie - zum fünften
Mal in Folge - um weitere rund drei Prozent zurückgehen. Vom
erhofften Wachstum ist nichts zu sehen.

Gleichzeitig fordert die Gläubiger-Troika aus EU, IWF und EZB,
dass Griechenland wettbewerbsfähig werden muss. Deswegen wird nun
auch der Mindestlohn gedrückt - die Rede ist von 566 statt 751 Euro.
Die 13. und 14. Monatsgehälter sollen gekürzt oder ganz gestrichen
werden. Abstriche dürfte es erneut auch bei den Renten geben. Mit
einem neuen Gesetz soll die Steuerhinterziehung bekämpft werden.

Wenig Erfolg hatte die geplante Verschlankung des Staatsapparats:
Bis zum 31. Dezember sollten 30 000 Staatsbedienstete gehen, bislang
wurden aber nur 2000 entlassen. Durch die chaotischen Zustände konnte
man nicht feststellen, wer überflüssig ist und wer nicht. Bis 2015
sollen 150 000 Angestellte entlassen werden.

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