Geert Mak: Euro-Krise geht auch auf Kulturunterschiede zurück Gespräch: Christoph Driessen, dpa

25.09.2012 02:31

Der Publizist Geert Mak hält den europäischen Einigungsprozess für
das neben den USA wichtigste historische Experiment. Dass es jetzt in
großer Gefahr ist, liegt nach seiner Meinung auch an einer
Unterschätzung von Kulturunterschieden.

Berlin/Amsterdam (dpa) - Der niederländische Schriftsteller Geert
Mak («In Europa») führt die Euro-Krise unter anderem auf eine
Unterschätzung europäischer Kulturunterschiede zurück. «In der
Entstehungsphase des Euro haben wir uns sehr stark auf das
Ost-West-Verhältnis konzentriert, auf die neuen osteuropäischen
Mitgliedsländer, aber nicht auf die Kluft zwischen Nord und Süd, auf
das zum Beispiel ganz unterschiedliche Staatsverständnis. Das rächt
sich jetzt», sagte Mak der Nachrichtenagentur dpa.

Mak hält den europäischen Einigungsprozess für das neben den USA
wichtigste Experiment der Geschichte. Amerika habe es einfacher
gehabt, denn «die europäische Kultur besteht gerade auch aus einer
großen Zahl unterschiedlicher Subkulturen».

Anders als die USA kämpfe die EU zudem mit einem gewaltigen
Legitimationsproblem: Bis vor etwa zehn Jahren seien die Wähler
sowohl im Norden wie im Süden noch einigermaßen zufrieden mit Europa
gewesen. «Nun aber steht Europa bei vielen Wählern für Unrecht statt

für Recht, für Armut statt für Wohlfahrt. Das Bild von Europa hat
sich dramatisch verschlechtert.» Schon um ein Gefühl von
Gerechtigkeit wiederherzustellen, müsse der Finanzsektor tiefgreifend
reformiert werden.

Es gehe aber um viel mehr als um Geld. «Europa ist vor allem auch
deshalb von ungeheurer Bedeutung für die Zukunft, weil es hier um das
Beispiel von überstaatlicher Zusammenarbeit schlechthin geht. Und im
21. Jahrhundert werden wir mehr denn je mit Problemen konfrontiert
sein, die nur auf diese Art angegangen werden können. Stichwort
Klimawandel», sagte der Schriftsteller.

Von Geert Mak - einem in vielen Staaten Europas gelesenen Autor -
erscheint am 1. Oktober das Buch «Was, wenn Europa scheitert». Im
dpa-Gespräch beschrieb Mak die derzeitige Situation als «noch immer
außerordentlich gefährlich, obschon ich ein wenig optimistischer bin
als noch vor einigen Monaten».

Viele Bürger machten sich den Ernst der Lage aber noch immer nicht
klar oder versuchten, die Risiken zu verdrängen. Das erinnere ihn an
die Situation kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, sagte Mak.
«Nicht in dem Sinne, dass uns ein Krieg droht, das sicher nicht. Aber
genauso wie damals plötzlich nicht mehr das Primat der Politik galt,
sondern das des Militärs, könnten wir eines schlimmen Tages von den
Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte überrollt werden.»