Euro-Krise bietet Chance für europäische Medienöffentlichkeit Von Miriam Schmidt, dpa

26.09.2012 02:31

Die Euro-Krise stellt Europa auf eine harte Probe. Gleichzeitig sorgt
sie dafür, dass europäische Themen mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Experten sehen darin eine Chance für eine stärkere europäische
Medienöffentlichkeit - warnen aber auch vor Problemen.

Brüssel (dpa) - Über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum
Euro-Rettungsschirm berichten fast alle Zeitungen groß - auch die im
europäischen Ausland. Der französische «Le Figaro», der «Corriere

della Sera» aus Italien und die spanische «El País» bringen die
Entscheidung auf ihren Titelseiten. Vor der Euro-Krise wäre das nicht
denkbar gewesen, sagt der Chefredakteur des Internetportals
presseurop.eu, Eric Maurice. Er und seine Kollegen werten jeden Tag
bis zu 200 europäische Zeitungen aus und übersetzen Artikel in zehn
Sprachen. «Die Zeitungen berichten nach wichtigen Entscheidungen alle
darüber», sagt er. «Das war vor drei Jahren nicht so.»

Die Krise rücke Europa auch wegen einer einfachen Medienlogik in
den Fokus der Öffentlichkeit, erklärt Kommunikationswissenschaftlerin
Judith Lohner von der Uni Hamburg. «Negative Entwicklungen
produzieren mediale Aufmerksamkeit.» Die Journalistik-Professorin
Irene Neverla ergänzt: «In den letzten Jahren ist die Schuldenkrise
ein gefundenes Fressen für die Journalisten. Sie berührt die Menschen
in ihrer Existenz, sie ist skandalös in vieler Hinsicht.» Das
bestätigt auch Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen
Bewegung Deutschland. «Durch die Krise ist die Relevanz Europas
erhöht worden», sagt Hüttemann.

Ob eine europäische Medienöffentlichkeit existiert, ist unter
Experten umstritten. «Die gibt es in wachsendem Maße und ich bin
überzeugt, dass sie sich im Zuge der Euro-Krise verdichtet und
verstärkt hat», sagt Neverla. Lohner hingegen erklärt: «Ich würde

eher von europäisierten Öffentlichkeiten sprechen. Als Netzwerk von
verschiedenen Öffentlichkeiten auf nationaler und regionaler Ebene.»

Neverla vergleicht die europäische Medienöffentlichkeit mit einem
Puzzle aus den nationalen Öffentlichkeiten. «Die europäische
Medienöffentlichkeit ist keine Spiegelfläche, sondern ein Mosaik.»
Eine große pan-europäische Öffentlichkeit, also ein Medium, das in
einer Sprache innerhalb eines Systems an eine nationale Einheit
vermittle, gebe es in Europa nicht.

«Das hat einfache Gründe, alleine schon das Sprachproblem», sagt
Lohner. Hüttemann sieht an diesem Punkt dringenden Handlungsbedarf
und fordert einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk für ganz Europa.
«Ich wundere mich immer, warum diese strukturelle Zusammenarbeit
nicht so funktioniert», sagt er. «Die Dinge sollten definitiv mehr
aus europäischer Sicht gesehen werden.»

Eine starke europäischen Medienöffentlichkeit ist eines der Ziele
von presseurop.eu. «Die Idee ist eine gemeinsame Basis, auf der man
diskutieren kann», sagt Maurice. «Ich denke, es kann für deutsche,
englische oder französische Leser sinnvoll sein, zu sehen, was in den
griechischen Medien berichtet wird und wie die Griechen denken.» Die
Reichweite des Portals ist mit 500 000 Visits im Monat eher gering.

Viele Zeitungen haben nach Ansicht von Maurice nach wie vor die
nationale Brille auf. «Es gibt mehr Artikel zu Europa, aber auch mehr
Klischees und mehr Misstrauen gegenüber den anderen Ländern.» Lohner

sieht die Gefahr, dass Medien gerade über die Krise zu sehr aus der
nationalen Perspektive berichten. Eine stärkere Berichterstattung
über Europa bedeute eben nicht, dass sie nur positiv sei, erklärt
Neverla. «Es gibt auch sehr starke Desintegrationskräfte und
kritische Stellungnahmen.»

Dennoch, für die europäische Medienöffentlichkeit kann die Krise
eine Chance sein, sind sich die Experten einig. «Sie hat auch
konstruktive Seiten», sagt Neverla. Hüttemann betont, wie wichtig
Relevanz sei. «Ich glaube schon, dass man endlich mal eine Grundlage
hat, um in der Substanz daran zu arbeiten.» Dabei will auch
presseurop.eu mithelfen. Chefredakteur Maurice sagt: «Ich denke, es
gibt das Potenzial für eine starke europäische Öffentlichkeit.»