Völkerrechtler zu Krim: Russland verstößt gegen UN-Charta Von Anita Hirschbeck, dpa
03.03.2014 14:46
Russland schickt Soldaten auf die Krim. Bricht Präsident Putin damit
das Völkerrecht? Ja, sagt Rechtsexperte Georg Nolte von der Berliner
Humboldt-Universität. Außerhalb der Hafenstadt Sewastopol habe Moskau
kein Recht auf militärische Präsenz.
Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und US-Präsident
Barack Obama sind sich einig: Russland verstoße in der Krise auf der
Krim gegen das Völkerrecht. Das glaubt auch Georg Nolte, Professor
für Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Problematisch
seien die russischen Soldaten auf der Halbinsel.
Frage: Das russische Parlament hat einem Militäreinsatz in der
Ukraine zugestimmt, Präsident Wladimir Putin hat den Marschbefehl
aber nicht öffentlich gegeben. Ist das eine Drohung, die gegen das
Völkerrecht verstößt?
Antwort: Laut UN-Charta darf kein Mitgliedstaat der Vereinten
Nationen Gewalt anwenden oder auch nur androhen, die sich gegen das
Territorium oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates
richtet. Dieses grundlegende Verbot steht in Artikel 2, Ziffer 4 und
gilt auch für Russland. Eine parlamentarische Ermächtigung bedeutet
aber nicht schon für sich genommen eine verbotene Androhung von
Gewalt, sondern nur in Verbindung mit weiteren Äußerungen. Auf der
Krim sind allerdings schon Taten gefolgt.
Frage: Wie ist die erhöhte Militärpräsenz Russlands auf der Krim
zu bewerten? Moskau hat Verträge mit der Ukraine geschlossen, die
russische Militärs auf der Krim erlauben.
Antwort: Russland hat nur auf einem kleinen und vertraglich genau
bezeichneten Gebiet in Sewastopol ein Recht auf militärische Präsenz.
Eine Besetzung anderer Teile der Krim durch russische Truppen ist
nicht durch Verträge mit der Ukraine gedeckt, sondern stellt einen
Verstoß gegen das Gewaltverbot der UN-Charta dar.
Frage: Putin hat erklärt, er wolle die ethnischen Russen auf der
Krim schützen. Wie bewerten Sie dieses Argument als Völkerrechtler?
Antwort: Laut UN-Charta darf ein Staat nur dann Gewalt anwenden,
wenn er sich selbst verteidigt oder wenn er durch den Sicherheitsrat
ermächtigt wird. Im Fall Kosovo haben NATO-Staaten im Jahr 1999
allerdings ohne Ermächtigung in einer Bürgerkriegssituation
militärische Gewalt angewandt, um eine «humanitäre Katastrophe» zu
verhindern. Einige Völkerrechtler rechtfertigten damals die
NATO-Operation mit der gestiegenen Bedeutung, Menschenrechte zu
schützen. Diese Rechtfertigung ist jedoch bei vielen Staaten und
anderen Völkerrechtlern auf Widerspruch gestoßen und deshalb nicht
allgemein anerkannt. Sie wäre auf den Fall Krim und Ukraine jetzt
ohnehin nicht anwendbar. Denn hier ist keine unmittelbare Bedrohung
eines Teils der Bevölkerung erkennbar.
ZUR PERSON: Der 54 Jahre alte Georg Nolte lehrt als Jura-Professor
am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht der
Berliner Humboldt-Universität. Er ist seit 2007 Mitglied der
Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.