Kiew gewährt Ostukraine Sonderstatus - EU-Ukraine-Abkommen gebilligt

16.09.2014 20:20

Mit einem Sonderstatus für das Konfliktgebiet Ostukraine will
Präsident Poroschenko die nach Unabhängigkeit rufenden Separatisten
besänftigen. Zugleich rückt Kiew mit dem Partnerschaftsabkommen näher

an die EU heran. Ist das der Weg zum Frieden?

Kiew/Brüssel (dpa) - Im Ringen um eine Lösung des Ukraine-Konflikts
hat Kiew ein überraschend starkes Friedenssignal an die Separatisten
im Osten des Landes geschickt und sich zugleich eng an die EU
gebunden. Mit einem Gesetz über einen Sonderstatus gewährte die
Oberste Rada der Konfliktregion Selbstverwaltungsrechte. «Die Ukraine
braucht unbedingt Frieden», sagte Präsident Petro Poroschenko nach
dem Parlamentsvotum am Dienstag. In einer weiteren Abstimmung
ratifizierte die Rada gleichzeitig mit dem per Video zugeschalteten
Europaparlament in Straßburg ein von Moskau kritisiertes
Partnerschaftsabkommen zwischen Kiew und Brüssel.

Die USA gratulierten der Ukraine zu dem Abkommen mit der EU und
bezeichneten dessen Ratifizierung als historischen Schritt. Zugleich
lobte das US-Außenministerium das Gesetz über Sonderstatus und
Selbstverwaltungsrechte in der Ostukraine. Dies sei ein weiteres
Zeichen dafür, dass Kiew den seit Monaten andauernden Konflikt
friedlich beilegen wolle. Poroschenko wird am Donnerstag in
Washington erwartet, wo er auch US-Präsident Barack Obama trifft.

Mit dem Sonderstatus für die Ostukraine will Poroschenko den
Separatisten entgegenkommen. Er will, dass sie von ihrer Forderung
nach Unabhängigkeit abrücken. Er forderte die Aufständischen auf, nun

den nächsten Schritt für eine friedliche Konfliktlösung zu tun. Ein
Einlenken zeichnete sich aber zunächst nicht ab.

Separatistenführer Alexander Sachartschenko äußerte sich
zurückhaltend. Er sagte, wenn der Sonderstatus eine Unabhängigkeit
der Region Donbass bedeute, würde er dies begrüßen. Die
Aufständischen wollen das Gesetz prüfen. In der Ostukraine herrschen
unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der Region: von einer
Autonomie innerhalb der Ukraine, über eine Unabhängigkeit bis hin zu
einem Beitritt zu Russland.

Mit dem Sonderstatus räumt Kiew den Gebieten Donezk und Lugansk für
drei Jahre Selbstverwaltungsrechte ein. Vorgesehen sind zudem
örtliche Wahlen am 7. Dezember sowie die Gründung einer eigenen
Volksmiliz. Ein Amnestiegesetz gewährt den Separatisten zudem
weitgehende Straffreiheit. Nur besonders schwere Verbrechen sollen
geahndet werden.

Weil das Gesetz in einer nicht öffentlichen Sitzung verabschiedet
wurde, stellten indes einige Politiker die Rechtmäßigkeit des
Gesetzes infrage. Die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko
kritisierte: «Dieses Gesetz bringt keinen Frieden.» Der russische
Duma-Abgeordnete Leonid Sluzki begrüßte den Sonderstatus als
vorteilhaft für beide Seiten.

Nach der überraschend schnell angenommenen Friedensinitiative
ratifizierte die Oberste Rada im Beisein von Präsident Poroschenko
das Partnerschaftsabkommen mit der EU einstimmig. Gleich nach der
Abstimmung unterzeichnete der Staatschef die Ratifizierungsurkunde.

Das EU-Parlament in Straßburg billigte das Abkommen zeitgleich mit
überwiegender Mehrheit. Der ukrainische Präsident Poroschenko sprach
in Kiew von einem «historischen Moment» und bekräftigte erneut, sein

Land strebe eine Vollmitgliedschaft in der EU an.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sprach von einer
«Sternstunde der Demokratie» - unter Buhrufen von Gegnern des
Assoziierungsvertrages aus rechten und linken Parteien. Viele
EU-Abgeordnete hatten zuvor kritisiert, dass der Handelsteil des
Abkommens mit einjähriger Verzögerung Anfang 2016 in Kraft treten
soll. Dies war am Freitag von Vertretern der EU, Moskaus und Kiews so
vereinbart worden.

Russland ist gegen den Freihandelspakt und hat zahlreiche
Änderungswünsche angemeldet. Moskau befürchtet, dass der Westen durch

das Abkommen mit der Ukraine Zugriff auf die seit Sowjetzeiten eng
mit Russland verknüpfte Rüstungs- und Raumfahrtindustrie bekommt.

Um das Abkommen in Kraft zu setzen, müssen alle EU-Regierungen extra
zustimmen. Der Assoziierungsvertrag sieht für die Ukraine
demokratische Reformen und eine Bekämpfung der Korruption ebenso vor
wie eine Übernahme von EU-Normen und Standards, die die ukrainische
Wirtschaft später in der EU konkurrenzfähig machen sollen.

Ungeachtet der Friedenssignale Kiews warnte Russland den Westen vor
Waffenlieferungen an die Ukraine. Parlamentschef Sergej Naryschkin
kritisierte eine drohende direkte Einmischung in die inneren
Angelegenheiten der Ukraine. Die Regierung in Kiew hatte nach dem
Nato-Gipfel in Wales mitgeteilt, dass mehrere Mitgliedstaaten mit der
Lieferung von Waffen begonnen hätten. Eine Bestätigung gab es nicht.

Ein chinesischer Militärstratege forderte seine Regierung wegen der
Spannungen zwischen den USA und Russland in der Ukraine-Krise zur
Vorbereitungen eines Krieges auf. «Der Ausbruch eines Weltkrieges ist
nicht unmöglich», schrieb Professor Han Xudong im Parteiorgan
«Volkszeitung».

Ein mit Spannung erwartetes Gasgespräch zwischen der Ukraine und
Russland kann nach Angaben des russischen Energieministers Alexander
Nowak am 22. September stattfinden. Russland hatte Mitte Juni seine
Gaslieferungen an die Ukraine mit der Begründung gestoppt, das Land
begleiche seine Schulden nicht. Die Regierung in Kiew wirft Moskau
vor, prorussische Separatisten in der umkämpften Ostukraine mit
Soldaten und Waffen zu unterstützen. Der Kreml weist dies zurück.

Zur Überwachung der brüchigen Waffenruhe in der Ostukraine prüft die

Bundesregierung die Entsendung von Drohnen. Die Bundeswehr schickte
ein Erkundungsteam mit 14 Soldaten nach Kiew, um die Bedingungen
dafür zu prüfen. Die Separatisten berichteten erneut von einem Bruch
der Feuerpause in der Großstadt Donezk. Innerhalb von 24 Stunden habe
es mindestens drei Tote gegeben, berichtete der örtliche Stadtrat.