Deserteur aus Gewissensgründen: EuGH trifft umstrittenes Urteil Von Martina Herzog, dpa

26.02.2015 16:54

Nur nicht zurück in den Irak. Als die US-Armee Andre Shepherd erneut
in den Einsatz schicken wollte, ergriff der Hubschrauber-Mechaniker
die Flucht. Nun streitet er vor Gericht um Asyl in Deutschland. Seine
Geschichte wirft Fragen weit über den Einzelfall hinaus auf.

Luxemburg (dpa) - Aus Ohio über den Irak nach Bayern: Als Andre
Lawrence Shepherd mit Mitte 20 zur amerikanischen Armee ging, konnte
er nicht ahnen, dass er ein gutes Jahrzehnt später als erster
US-Deserteur um Asyl in Deutschland kämpfen sollte. Bis zum
Europäischen Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag in Luxemburg gelangte
sein Fall - doch dessen Urteil gibt ihm nicht viel Anlass zur
Hoffnung.

«Deserteure aus Gewissensgründen werden hier schutzlos gestellt»,
kritisiert die Völkerrechtlerin Nora Markard von der Universität
Hamburg. Für Shepherd sehe es nicht gut aus.

Sein Anwalt Reinhard Marx sagt, er sei mit Blick auf den Fall
weiterhin «guten Mutes». Er hofft weiter auf das bayerische
Verwaltungsgericht in München, das den konkreten Fall entscheiden
muss. Der EuGH sollte auf Anfrage der Münchener Richter nur
grundsätzliche europarechtliche Fragen klären.

Marx hält das Urteil für «methodisch angreifbar». Viel zu detaillie
rt
sei der EuGH auf den Einzelfall eingegangen, obwohl viele Tatsachen
noch nicht ermittelt seien und die Feststellung der Fakten Aufgabe
der nationalen Behörde sei. Auch Markard findet das Urteil
ungewöhnlich detailliert.

Als ihn der Einsatzbefehl für den Irak erreichte, flüchtete der
Hubschrauber-Mechaniker Shepherd im April 2007 von seinem Stützpunkt
im bayerischen Katterbach. Er hatte zuvor bereits ein halbes Jahr im
umkämpften Irak verbracht und wollte nicht zurück. 2008 reichte er
seinen Asylantrag in Deutschland ein. Dabei führte er Gewissensgründe
für seine Flucht an.

Allerdings versuchte Shepherd gar nicht erst, in den USA als
Kriegsdienstverweigerer anerkennt zu werden - aus Sicht des
Gerichtshofes eigentlich eine notwendige Voraussetzung für Asyl.
«Abwegig» sei das, kommentiert Anwalt Marx. Die USA sähen nur eine
Verweigerung aus absoluten Gewissensgründen vor, doch Shepherd hätte
aus dem Militärdienst heraus verweigern müssen. «Mein Mandant sagt:
«Ich verteidige mein Vaterland. Das ist für mich eine absolute
Pflicht, aber ich will nicht an Kriegsverbrechen im Irak
teilnehmen»», erklärt Marx.

Der heute 37-jährige Amerikaner hat Marx zufolge seinen Dienst nach
dem ersten Einsatz im Irak nur verlängert, um einem Einzug als
Reservist zu entgehen. Man habe ihm zugesichert, als aktiver Soldat
müsse er wohl nicht zurück. «So absurd es klingt, die Verlängerung

sollte ihn schützen», sagte Marx. Vor einem Einsatz, den er als
völkerrechtswidrig betrachtete.

Das europäische Asylrecht schützt Menschen, die den Militärdienst
verweigern, um nicht an Kriegsverbrechen oder Vergehen gegen die
Menschlichkeit beteiligt zu werden. Dieses Recht gelte für alle
Militärangehörigen, auch logistisches oder unterstützendes Personal
wie Shepherd, stellt der EuGH klar. Aber nur, wenn ihre Unterstützung
essenziell ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit von Kriegsverbrechen
besteht.

Bei Einsätzen, für die es ein Mandat des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen gibt, sei nicht von Verbrechen auszugehen, meinten
die Richter. Diese böten «alle Garantien dafür (...), dass bei ihrer

Durchführung keine Kriegsverbrechen begangen werden». Als
unproblematisch könne auch ein Einsatz gelten, über den
«internationaler Konsens» bestehe - nach Ansicht von Experten eine
vage Formulierung.

Die Organisation Pro Asyl hält diese Argumentation für «skandalös
».
Auch der Völkerrechtlerin Markard stehen dabei die Haare zu Berge:
«Dass angeblich keine Kriegsverbrechen geschehen, wenn die
«Richtigen» beteiligt sind, stimmt einfach nicht.»