Balkonblume als Vorreiter: Europas Diskussion um die Gentechnik Von Martina Herzog, dpa

13.05.2015 09:48

Die Petunie ist eine beliebte Balkonpflanze. Doch vor 25 Jahren wurde
das Gewächs mit den grazilen Blüten zum Pionier der Forschung: als
Hauptakteur des ersten Freiland-Versuchs in Deutschland mit
genveränderten Pflanzen.

Köln (dpa) - Selten löst Schönheit solchen Widerstand aus: Die 30 000

Petunien, die am 14. Mai 1990 in Köln gepflanzt wurden, trafen auf
die Gegenwehr von Bürgerinitiativen. Denn mit der Auspflanzung jener
Petunien begann vor 25 Jahren beim Max-Planck-Institut (MPI) für
Züchtungsforschung der erste Freiland-Versuch mit genveränderten
Pflanzen in Deutschland.

25 Jahre später tobt die Debatte um die Gentechnik weiter. Wichtige
Entscheidungen dazu fallen in Brüssel, mit viel politischem Hängen
und Würgen. Denn auch europäische Landwirte setzen auf gentechnisch
veränderte Pflanzen als Futtermittel. So werden laut EU-Kommission
mehr als 60 Prozent des EU-Bedarfs an pflanzlichem Eiweiß für Rinder
durch Einfuhren von Soja und Sojaschrot aus Drittländern gedeckt, wo
der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen weit verbreitet ist.

Andererseits sind Genpflanzen auf Europas Äckern ein Politikum. Die
Mehrheit der Deutschen lehnt gentechnisch veränderte Lebensmittel
laut einer 2014 veröffentlichten Umfrage ab.

Das Dilemma führte dazu, dass bisher oft die EU-Kommission über
Importzulassungen für Futtermittel entscheiden musste - denn unter
den EU-Staaten kam nicht die nötige Mehrheit für oder gegen
Neuzulassungen zustande. Die Behörde ist die Kritik nun leid und
schlug im April vor, solche Entscheidungen auf die nationale Ebene zu
verlagern. Dafür bezog sie Prügel von allen Seiten: Bauernverbände,
Politiker aller Lager, Gentechnik-Kritiker und der
Biotechnik-Branchenverband EuropaBio kritisierten die Vorschläge in
seltener Einmütigkeit. Die Märkte für Futtermittel in Europa seien
viel zu stark miteinander verwoben, um nationale Verbote
durchzusetzen, merkte etwa der Deutsche Bauernverband an. Ob die
Pläne überleben, bleibt abzuwarten - sie bräuchten die Zustimmung der

EU-Staaten und des Europaparlaments.

Blaupause für die Vorschläge waren jüngst beschlossene neue
Anbauregeln für gentechnisch veränderte Pflanzen. Die Staaten
bekommen damit mehr Gründe an die Hand, um genveränderte Pflanzen von
ihren heimischen Äckern fernzuhalten, auch wenn sie auf europäischer
Ebene zugelassen worden sind. Bislang war dies nur dann möglich, wenn
die Behörden neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlegen, was aber
als schwierig gilt. Künftig sollen auch andere Verbotsgründe möglich

sein, die mit Stadt- und Landschaftsplanung oder den
«sozioökonomischen Folgen» des Anbaus zu tun haben. Mit anderen
Worten: Die Regierungen bekommen mehr Spielraum für politische
Entscheidungen gegen kommerziell genutzte Genpflanzen.

Gentechnisch veränderte Lebensmittel gibt es in Europa übrigens kaum
zu kaufen - denn solche Waren müssten gekennzeichnet werden, was
Verbraucher abschrecken könnte. Wie groß der Widerstand gegen die
grüne Gentechnik aber wirklich ist, daran scheiden sich die Geister.
«Die Kritik in Europa ist nie nennenswert zurückgegangen», sagt
Christoph Then vom Verein Testbiotech, der viele Entwicklungen
skeptisch beurteilt.

Der Branchenverband EuropaBio sieht das anders: «Die öffentliche
Wahrnehmung verbessert sich allmählich», sagt Generalsekretärin
Nathalie Moll. Es gebe aber dennoch weiterhin eine «kleine und
lautstarke Minderheit», die sich vehement gegen genveränderte
Organismen wende. «Jetzt ist eine politische Führung nötig, die sich

für die objektive wissenschaftliche Wahrheit starkmacht und dabei
hilft, die Öffentlichkeit zu informieren.»

Für Then ist nicht entscheidend, ob jeder Skeptiker die komplexe
Materie auch versteht. «Das Grundverständnis, dass man in die Natur
nicht mit Mitteln eingreifen soll, die man nicht in der Hand hat,
halte ich für berechtigt.»

Bestätigt sieht er sich übrigens auch im Kölner Petunien-Experiment

vor 25 Jahren. Denn die Pflanzen entwickelten sich anders als
erwartet. Nach starker Sonneneinstrahlung und hohen Temperaturen
färbte sich ein Großteil der eigentlich lachsroten, trichterförmigen

Petunienblüten weiß, war schwach gefärbt oder rotweiß gemustert.

Eigentlich ging es bei dem Experiment um sogenannte «springende
Gene», sehr bewegliche Abschnitte der Erbmasse eines Organismus, die
die Aktivität von Genen beeinflussen können. «Daraus entstand dann
die Fragestellung, welche Auswirkungen Umweltfaktoren wie zum
Beispiel UV-Strahlung auf die Genetik haben», sagt Wolfgang Schuchert
vom Kölner MPI. Die überraschenden Petunien hätten damit wichtige
neue Anstöße für die Forschung geliefert.