EU-Bericht: schwere Ausbeutung in Europa keine Seltenheit

02.06.2015 04:30

Für die Aussicht auf mehr Gehalt als zu Hause gehen viele ins
reichere Ausland - als Erntehelfer, Küchenhilfe oder Bauarbeiter. Das
geschieht auch in Europa. Doch auf faire Arbeitsbedingungen hoffen
viele laut einer Untersuchung vergeblich.

Brüssel (dpa) - Hungerlohn, Pass einkassiert, von der Außenwelt
abgeschnitten: Schwere Ausbeutung von Arbeitskräften ist nach einem
EU-Bericht in einigen Wirtschaftszweigen weit verbreitet. Die
EU-Grundrechteagentur (FRA) stützt sich bei dieser Einschätzung unter
anderem auf rund 600 Gespräche mit Gewerkschaftern, Polizisten oder
Mitarbeitern von Aufsichtsbehörden. «Ausländische Arbeitnehmer haben

in der EU ein ernsthaftes Risiko, ein Opfer von Arbeitsausbeutung zu
werden», sagte Blanca Tapia von der FRA.

Jeder fünfte Gesprächspartner traf demnach mindestens zweimal pro
Woche auf einen solchen Fall, heißt es in der am Dienstag in Brüssel
veröffentlichten Untersuchung. Zum Teil verdienten die Betroffenen
nur einen Euro pro Stunde oder weniger, arbeiteten an sechs bis
sieben Wochentagen und hätten keinen Vertrag.

Eine klare Definition ist indes schwierig. «Das Projekt hat sich nur
mit jenen Formen der Arbeitsausbeutung befasst, die strafrechtlich
verfolgt werden können», sagte Albin Dearing von der FRA. Dabei sei
die rechtliche Situation unter den EU-Ländern aber unterschiedlich.
In Polen beispielsweise gelten landwirtschaftliche Betriebe laut
seiner Kollegin Tapia als Privatgrundstücke, relevante Kontrollen
seien schwierig. «Sie können die Bedingungen für die Hühner
kontrollieren, aber nicht für die Arbeiter», beklagte Tapia.

Deutschland gehört laut Bericht zu gerade einmal vier Staaten
innerhalb der Europäischen Union, die EU-Bürgern den gleichen Schutz
gewähren wie Nicht-EU-Bürgern. Allerdings sei hierzulande unklar,
welche Behörde gegen Arbeitsausbeutung vorgehen müsse, bemängelte
Dearing. «Es fühlt sich keiner richtig zuständig.» Die Verhältnis
se
in der Baubranche geben in Deutschland den Befragten zufolge am
häufigsten Anlass zur Sorge. Die Einbindung von Subunternehmern
erhöhe das Risiko, betonte Dearing.

Insgesamt sahen die Teilnehmer der Untersuchung im Bereich Land- und
Forstwirtschaft sowie Fischerei das höchste Risiko für Ausbeutung,
gefolgt von der Baubranche, dem Hotel- und Gaststättengewerbe, der
Beschäftigung im Haushalt und in der verarbeitenden Industrie.

Zahlen zum Ausmaß des Problems in Deutschland oder in der EU liefert
die Studie nicht. «Diese Verbrechen geschehen im Verborgenen»,
erklärte Tapia von der FRA. «Niemand kann diese Zahlen haben.» Die
Autoren hätten vielmehr nach Ursachen forschen oder Gruppen von
Betroffenen identifizieren wollen.

Die Agentur pocht auf bessere Kontrollen und schärfere Gesetze.
Vorbildlich seien die Instrumente im Kampf gegen den Menschenhandel.
Denkbar sei auch ein staatlich überwachtes Siegel für Produkte, die
ohne Ausbeutung entstanden sind.