Gerichtshof urteilt über Nutzer-Beleidigungen auf Internetportal

15.06.2015 13:56

Der Ton in Online-Diskussionen ist schon einmal rauer. Doch wer ist
bei Beleidigungen verantwortlich, wenn die Verfasser anonym bleiben?
Am Dienstag entscheidet der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte.

Straßburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
urteilt am Dienstag (14.30 Uhr) über die Verantwortung eines
Internetportals für beleidigende Kommentare seiner Nutzer. In
dem Fall aus Estland geht es um einen hitzigen Streit um Fährrouten.
Ein Fährschiff-Betreiber, gegen den sich der Zorn von
Internet-Kommentatoren gerichtet hatte, hatte gegen eine estnische
Nachrichtenwebseite geklagt. In Estland hatten Gerichte die Betreiber
des Nachrichtenportals, die Delfi AS, deswegen 2008 zu einer
Geldstrafe verurteilt.

Der Fall könnte Auswirkungen für Betreiber von Internetportalen in
allen 47 Ländern des Europarats haben. Entscheiden die Richter der
großen Kammer zu Gunsten des Fährschiffers, müssen sich
Internetportale darauf gefasst machen, für bösartige oder
diffamierende Kommentare anonymer Nutzer zur Rechenschaft gezogen zu
werden. Dies würde für alle EU-Länder gelten, für die Schweiz, di
e
Türkei und die meisten osteuropäische Länder wie Russland und die
Ukraine, die Mitglieder der Straßburger Staatenorganisation sind. In
Deutschland kann die Polizei bei Verleumdungen oder Beleidigungen
verlangen, dass Seitenbetreiber die IP-Adresse der Nutzer offenlegen.

Auslöser des Streits war ein Bericht über Fährrouten zu Inseln. Im
Winter wurden dort Eisbrecher eingesetzt, um die Strecken für
Fährschiffe offen zu halten. Deshalb konnten Autostrecken über das
Eis erst mit wochenlanger Verspätung angelegt werden. Die Autorouten
sind im Vergleich zum Fährtransport aber schneller und günstiger. Auf

Berichte reagierten Leser des Online-Portals mit Anfeindungen,
drohenden und wütenden Sprüchen. Der Fährschiffer sah sich beleidigt

und klagte gegen die Betreiber der Webseite.

Das estnische Gericht gab dem Schiffer Recht und sprach ihm
umgerechnet 320 Euro Schadensersatz zu. Die Webseiten-Betreiber
müssten anstößige und anonyme Kommentare ihrer Nutzer kontrollieren,

befand das Gericht. Sie hätten sie beispielsweise löschen können. Die

Betreiber wiesen die Verantwortung zurück und argumentierten, sie
stellten einen neutralen Dienst zur Verfügung. Die
Betreibergesellschaft klagte vor dem Menschenrechts-Gerichtshof, weil
sie ihr ihr Recht auf Meinungsfreiheit verletzt sah. 

Der Gerichtshof kam 2013 zunächst zum gleichen Ergebnis wie die
estnischen Gerichte. Der Fährschiff-Betreiber hätte kaum gegen die
Verfasser der beleidigenden Kommentare klagen können, da sie sich
nicht registrieren mussten und anonym bleiben konnten, befand der
Gerichtshof damals. Die Betreiber seien rechtlich verantwortlich
für die Kommentare. Die Betreibergesellschaft Delfi wollte dieses
Urteil und die Geldstrafe des estnischen Gerichts nicht hinnehmen und
beantragte eine Berufung. Daher befasst sich der Gerichtshof nun
erneut mit dem Fall. Gegen das Urteil der zuständigen großen Kammer
ist keine Berufung möglich.