Schadstoffe in Bio-Produkten? Der Streit um neue Öko-Regeln Von Martina Herzog und Anja Semmelroch, dpa

16.06.2015 16:12

Europas Verbraucher kaufen immer mehr Bio. Und auch die Anbaufläche
für Öko-Obst und -Gemüse wächst. Damit sind die Regeln für solche

Waren auf den Prüfstand gekommen. Nach hartem Ringen gibt es eine
Einigung unter den EU-Staaten.

Berlin/Brüssel (dpa) - Bio-Produkte enthalten keine Schadstoffe?
Jein. Ökobauern dürfen konventionelle Pflanzenschutzmittel nicht
einsetzen, darüber wachen in Deutschland Kontrolleure. Aber in
Einzelfällen finden sich auch auf Bio-Äpfeln oder -Getreide Spuren
von Pestiziden. Das wird laut EU-Regeln auch so bleiben - zumindest
wenn es nach den EU-Agrarministern geht. Sie haben sich am Dienstag
in Luxemburg auf eine gemeinsame Position geeinigt.

Worum geht es bei der Reform der Öko-Regeln?

Wer Bio kauft, kann mehr erwarten. Entsprechend streng sollten die
Regeln für diese Waren sein - mit diesem Grundgedanken hat die
EU-Kommission im Frühjahr 2013 eine Reform der Gesetzgebung für den
Ökolandbau vorgeschlagen. Dazu haben die EU-Staaten noch Stellung
bezogen - am Ende müssen sie sich aber mit dem Europaparlament
einigen.

Wie lautet nun die Lösung?

Stolperstein aus deutscher Sicht waren vor allem spezielle
Schadstoff-Grenzwerte für Ökoprodukte. In Belgien und Italien gelten
solche Grenzen, auch eine Reihe vor allem osteuropäischer Staaten
plädieren dafür. Deutschland und andere lehnen das strikt ab - und
setzten sich am Ende durch. Staaten, die solche Grenzwerte haben,
dürfen sie bis 2020 beibehalten. Die anderen müssen sich nicht
umstellen.

Was ist das Problem mit Grenzwerten?

Die Bundesregierung befürchtete, dass extrastrenge Grenzwerte das
Wachstum der Bio-Branche abwürgen könnten. Denn die Kosten für die
Analysen würden die Produktion unverhältnismäßig verteuern, heißt
es.
Bisher gelten für Spuren von Pflanzenschutzmitteln die gleichen
Grenzwerte wie bei allen anderen Lebensmitteln auch. Speziell
überprüft wird bei Bio-Produkten, ob ein Landwirt nach ökologischen
Standards arbeitet - also etwa keine unzulässigen Düngerarten nutzt
und Nutztiere an die frische Luft lässt. Dafür zuständig sind
staatlich überwachte private Kontrollstellen.

Was sagen die Erzeuger und Händler zum Thema Grenzwerte?

Der deutsche Spitzenverband der Branche, der Bund Ökologische
Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), teilte die Sorge der Bundesregierung
und nannte die Pläne ein «Bio-Schrumpfungsprogramm». Es könne
außerdem nicht sein, dass Ökolandwirte den Pestizid-Einsatz auf
angrenzenden Feldern ausbaden müssten, meinte Geschäftsführer Peter
Röhrig. «Dann würde ein Bio-Bauer sein Produkt nicht mehr als «Bio
»
vermarkten können, weil sein Nachbar gespritzt hat.»

Wie geht es der Bio-Branche überhaupt?

Der Ökolandbau ist seit Jahren auf dem Vormarsch. Ende 2014 waren
nach Daten des BÖLW 8,4 Prozent aller deutschen Agrarbetriebe Bio.
Gemeinsam bewirtschafteten sie 6,5 Prozent der Anbaufläche und
erlösten 2013 insgesamt 1,58 Milliarden Euro, 3,5 Prozent der
Gesamteinnahmen der deutschen Landwirtschaft. Europaweit ist
Deutschland in absoluten Zahlen einer der wichtigsten Erzeuger. Vom
erklärten Ziel der Bundesregierung - Ökolandbau auf jedem fünften
Hektar Land - ist die Branche aber noch weit entfernt.

Und wie kommt Bio bei den Verbrauchern an?

Zunehmend gut, besonders bei den Deutschen. Nach einer aktuellen
Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der
Deutschen Presse-Agentur greift jeder Zweite zumindest gelegentlich
zu Bio-Produkten. Vor allem Obst, Gemüse und Eier werden laut
Ökobarometer 2013 gekauft. «Der Markt wächst, aber die Landwirte
stellen nicht genug her», sagt der Grüne Martin Häusling, der das
Thema als Abgeordneter im Europaparlament federführend betreut. Die
Politik dürfe die Branche daher nicht «klein und fein halten»,
sondern müsse ihr helfen zu wachsen.

Was bedeutet der Grenzwerte-Streit für die Bio-Käufer?

Die Verbraucherorganisation Foodwatch hatte im Vorfeld gewarnt, ohne
Grenzwerte würden die Verbraucher verlieren. «Wer so einen großen
Vertrauensvorschuss genießt und auch für sich reklamiert wie die
ökologische Lebensmittelwirtschaft, der ist in der Bringschuld, was
Transparenz angeht», meinte Vize-Geschäftsführer Matthias
Wolfschmidt. Die Verpflichtung auf strikte Grenzwerte wäre seiner
Meinung nach eine Selbstverständlichkeit - und dass die Branche sich
mit Händen und Füßen dagegen wehrt, kann er nicht verstehen. «Denn
es
gibt eigentlich gar kein Problem.»

Stimmt das denn?

Tatsächlich sind Bio-Produkte selten belastet. In einer Untersuchung
aus dem Jahr 2013, dem Ökomonitoring Baden-Württemberg, hatte
konventionelles Obst im Mittel einen rund 40-fach höheren
Pestizid-Gehalt als Öko-Obst, bei Gemüse war der Wert sogar 95 Mal so
hoch. Nur 2,8 Prozent aller Proben von frischen Öko-Erzeugnissen
wurden von den Prüfern beanstandet.