Kriegsschiffe als Rettungsboote - Von der Leyens Mittelmeer-Mission Von Michael Fischer, dpa

05.07.2015 13:08

5700 Flüchtlinge hat die Bundeswehr in acht Wochen aus dem Mittelmeer
gerettet. Tausende werden wohl noch dazu kommen. Von der Leyen zollt
den Soldaten bei einem Besuch ihren Respekt. Wie es langfristig mit
der Mission weiter geht, kann sie ihnen aber noch nicht sagen.

Catania (dpa) - Die Fregatte «Schleswig-Holstein» kreuzte gerade mal
eine Woche vor der libyschen Küste, als sie das erste Flüchtlingsboot
ortete. Zwölf Meter lang, drei Decks, mit etwa 550 Menschen
hoffnungslos überfüllt. «Die haben übereinander und untereinander
gelegen», erzählt ein Oberstabsgefreiter, der bereits seit sieben
Jahren zur Stammbesatzung gehört.

Der 28-Jährige war fünfmal im Einsatz, hat Piraten am Horn von Afrika
gejagt und Waffenschmuggel vor der libanesischen Küste unterbunden.
Aber das hier ist völlig neu für ihn. «Das ist das anspruchsvollste,

was wir je erlebt haben. Diese Situation kannte keiner von uns», sagt
er.

Zehn Stunden dauerte es an diesem 15. Juni, bis die Flüchtlinge -
darunter 120 Kinder - an Bord der «Schleswig-Holstein» waren. Einige
Soldaten mussten ebenso lange in weißen Schutzanzügen ausharren, die
gegen ansteckende Krankheiten getragen werden. Mehr als 50 Mal fuhren
Schlauchboote hin und her, auf die gerade einmal zehn Personen
passen.

In einem dieser Boote wurde am Samstagmittag Verteidigungsministerin
Ursula von der Leyen (CDU) auf das Kriegsschiff gebracht, das derzeit
vor der Küste Siziliens liegt. Dass die Ministerin nur acht Wochen
nach Beginn der Mission hier auftaucht, verwundert nicht. Die
Flüchtlingsrettung ist zurzeit wohl der wichtigste Einsatz der
Bundeswehr.

Jeden Tag geht es aufs Neue um Menschenleben. 5700 haben die
deutschen Schiffe schon gerettet - die «Schleswig-Holstein» 1100 in
nur einer Woche. Einsatzleiter Thorsten Mathesius nennt sie «die
Gäste».

Auf dem Achterdeck der «Schleswig-Holstein» sind für sie
Wasserspender, Behelfstoiletten und ein provisorisches Lazarett
aufgebaut. Einen Tag und eine Nacht verbringen sie hier. Dann gehen
sie in einem italienischen Hafen von Bord. Für die Soldaten ist der
Auftrag dann erfüllt. Die Zukunft der Flüchtlinge bleibt ungewiss.

Von der Leyen ist auf die «Schleswig-Holstein» gekommen, um den
Soldaten Mut zu machen: «Ich weiß, dass Deutschland stolz auf sie
ist», sagt sie. Wohin dieser Einsatz noch führen und wie lange er
noch dauern wird, kann sie ihnen aber nicht sagen.

Die Bundeswehr weiß inzwischen ziemlich viel über die Wege der
Flüchtlinge und die Methoden der Schleuser. In Sammellagern etwa 100
Kilometer von der libyschen Küste entfernt beginnt die Reise nach
Europa. Von dort geht es mit Lastern ans Meer und dann in
Holzfrachter oder - bei stiller See - in Schlauchboote.

Auf den Holzfrachtern gibt es drei Klassen - zu unterschiedlichen
Preisen. Die Ärmsten aus Ländern wie Eritrea kommen ins Unterdeck, in
der Mitte sitzen meist Westafrikaner und oben Syrer und
Wirtschaftsflüchtlinge aus Nordafrika. Soldaten berichten, dass
einige von ihnen teure Uhren oder sogar Laptops dabei haben.

Es gibt keine Toiletten an Bord und keine ordentliche Navigation -
nur einen Kompass. Die Reise kann wenige Stunden dauern, aber auch
etliche Tage. Sie kann mit dem Tod enden - oder auf einem der zu
Rettungsbooten umfunktionierten Kriegsschiffe.

Ihr Einsatz hat mit dazu geführt, dass die Zahl der im Mittelmeer
ertrunkenen Flüchtlinge im Mai und Juni deutlich gesunken ist. Für
eine Lösung des Problems können sie aber nicht sorgen.

Die EU hat zwar beschlossen, neben der Flüchtlingsrettung auch die
Schleuserbanden zu bekämpfen. Bisher beschränken sich die Aktivitäten

aber auf das Sammeln von Informationen.

Um die Transportmittel an der libyschen Küste zu zerstören, sind die
Zustimmung der libyschen Regierung und ein UN-Mandat notwendig. Da in
Libyen Chaos herrscht und Russland ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat
hat, ist nicht klar, ob es jemals eine Rechtsgrundlage für einen
Einsatz gegen Schleuser geben wird.

Noch schwieriger ist die Beseitigung der Ursachen für die Flucht aus
Afrika: Armut, Krieg, Perspektivlosigkeit. «Ich weiß (...), dass wir
alle einen sehr langen Atem brauchen werden», sagt von der Leyen zu
den Soldaten auf der Fregatte.

Solange sich Flüchtlinge über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa
machen, wird die Europäische Union ihren Einsatz kaum beenden können.
«Man weiß, dass leider kaum ein anderer für diesen Auftrag bereit
steht», mahnt der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner.

«Wenn Europa mittelfristig keine nachhaltige Lösung für die
katastrophale Lage in weiten Teilen Nordafrikas findet, fürchte ich,
dass die Rettungsmission zu einem Endlos-Einsatz wird.»

Von der Leyen trifft bei ihrer kurzen Mittelmeer-Reise nicht nur
Soldaten. Im Hafen von Catania kommt sie auch mit einigen von denen
zusammen, die es aus Afrika nach Europa geschafft haben: sechs
Flüchtlinge aus Gambia, Eritrea, Algerien, Ghana und der
Elfenbeinküste. Sie haben auf Sizilien Fuß gefasst, sind teilweise
schon Jahre dort. Über die Umstände ihrer Flucht wollen sie gar nicht
mehr viel erzählen. Einer von ihnen sagt nur: «Ich wurde gerettet.»