Flüchtlingspakt mit Türkei in Kraft - Kaum Vorbereitungen getroffen

20.03.2016 00:45

Seit Mitternacht ist der umstrittene Flüchtlingspakt mit der Türkei
in Kraft. In Griechenland aber ändert sich erstmal wohl nicht viel.
Die Vorbereitungen sind kaum angelaufen und Details unbekannt.

Athen (dpa) - Die Vereinbarungen zum Flüchtlingspakt der EU mit der
Türkei sind seit Sonntag zwar formell in Kraft, aber mit der
Umsetzung dürfte es zunächst hapern. Griechenland fehle es an
Personal, türkische Beamte seien noch nicht vor Ort und die
Einzelheiten der geplanten Rückführung von Flüchtlingen in die Türk
ei
unbekannt, hieß es aus Behördenkreisen in Athen. Der Pakt sieht vor,
dass alle Flüchtlinge, die ab Sonntag illegal von der Türkei nach
Griechenland übersetzen, ab Anfang April zwangsweise in die Türkei
zurückgebracht werden. Vorher haben die Flüchtlinge jedoch das Recht
auf eine Einzelfallprüfung im EU-Land Griechenland.

Nur wer nachweisen kann, dass er in der Türkei verfolgt wird, darf
bleiben. Dies dürfte aber nur für wenige gelten. Etwa die Hälfte der

in Griechenland ankommenden Flüchtlinge sind Syrer. Die EU hat sich
im Gegenzug bereiterklärt, der Türkei bis zu 72 000 Flüchtlinge aus
dem Bürgerkriegsland Syrien abzunehmen. Für jeden Syrer, der in die
Türkei zurückkehrt, will die EU einen Syrer aus der Türkei aufnehmen.


Allerdings ist die Verteilung der Menschen noch unklar. Da viele
EU-Mitglieder kaum oder gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen,
könnten die meisten wieder nach Deutschland kommen. CSU-Chef Horst
Seehofer bekräftigte deshalb seine Forderung nach einer nationalen
Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr. «Alle Länder mit
Ausnahme Deutschlands praktizieren inzwischen eine Politik der
Obergrenze. Das Ergebnis ist der Rückgang der Flüchtlingszahlen»,
sagte er der «Bild am Sonntag».

Zudem erteilte Seehofer weitreichenden Zugeständnissen an die Türkei
im Gegenzug für deren Kooperation in der Flüchtlingskrise eine
Absage. «Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU oder eine
komplette Visa-Freiheit wird es mit der CSU in der Bundesregierung
nicht geben. Sonst importieren wir die inneren Probleme der Türkei
nach Deutschland», betonte er. Er verlangte eine Abstimmung im
Bundestag über den Türkei-Pakt sowie über Merkels Flüchtlingspoliti
k.

Nach Einschätzung der EU-Kommission benötigt Griechenland zur
Umsetzung des Übereinkommens schnell Hunderte Asyl-Experten aus
anderen EU-Staaten. Bei der Bearbeitung von Asylanträgen würden etwa
400 Dolmetscher und 400 Asyl-Fachleute benötigt, erklärte die
Brüsseler Behörde am Samstag. Für die Einspruchverfahren gegen
geplante Rückführungen in die Türkei seien weitere 30 Dolmetscher
sowie 30 Richter aus anderen EU-Ländern erforderlich. Insgesamt seien
4000 Mitarbeiter erforderlich, hieß es. Deutschland und Frankreich
wollen jeweils bis zu 300 Beamte zur Verfügung stellen.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, mahnte zur
Eile. «Wir müssen die Grenzen schützen, die Flüchtlinge sofort bei

ihrer Ankunft in der EU registrieren, mit Drittstaaten die Rücknahme
von Wirtschaftsflüchtlingen vereinbaren und die Flüchtlinge in Europa
verteilen», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag).

Der am Freitag in Brüssel vereinbarte Pakt enthält auch einen
Abschreckungsmechanismus: Flüchtlinge, die unerlaubt von der Türkei
zu den griechischen Inseln übersetzen, sollen schlechtere Chancen auf
eine Zukunft in Europa haben. Denn Vorrang bei der so genannten
offiziellen Umsiedlung von Syrern aus der Türkei nach Europa sollen
Flüchtlinge haben, die nicht zuvor irregulär in die EU eingereist
sind oder es versucht haben. Fraglich war, wie die griechischen
Behörden reagieren, falls sich Flüchtlinge gegen die Rückführung
wehren. Nach Angaben der EU-Kommission werden für die eigentlichen
Rückführungen 50 Frontex-Experten sowie 1500 Polizeikräfte gebraucht.


Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte die
jüngsten EU-Gipfelbeschlüsse als rechtswidrig bezeichnet. Die Türkei

sei für Flüchtlinge kein sicheres Land, und jeder
Rückführungsprozess, der auf dieser Einstufung basiere, sei illegal
und unmoralisch. Die Vereinten Nationen (UN) mahnten, die
Menschenrechte zu beachten.